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Nimm dich in acht

Nimm dich in acht

Titel: Nimm dich in acht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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einen ähnlichen Schreibtisch, und sie ließ den Deckel immer offenstehen, um stolz die kleinen Fächer und Schubladen, den Löscher und das Schreibset zur Schau zu stellen, das nie benutzt wurde.
    Er dachte an das vergangene Jahr zurück, als Hilda sich auf der Straße den Knöchel verstaucht und er sie besucht hatte. Damals war der Schreibtisch geschlossen gewesen.
    Ich wette, er war meistens geschlossen, dachte er.
    Im Schreibtisch lag eine Schachtel mit Briefpapier, die offenbar gerade erst geöffnet worden war – die Verpackung aus Zellophan lag noch daneben. Er lächelte, als er den Aufdruck las: »Ein Bonmot von Hilda Johnson.«
    Ein altmodischer Füllfederhalter lag neben dem Tintenfaß, die Sorte Füller, die man zum Zeichnen benutzte. Er nahm ihn in die Hand und musterte die Flecken, die die Feder an seinen Fingern hinterließ. Dann zählte er die Papierbögen, die noch in der Schachtel enthalten waren. Es waren elf.
    Er zählte die Umschläge – zwölf.
    Hatte Hilda Johnson kurz vor ihrem Tod etwas auf den fehlenden Bogen geschrieben oder gezeichnet? fragte er sich. Aber warum sollte sie das tun? Zu Tony Hubbard, dem Sergeant, der gestern am Telefon gewesen war, hatte sie gesagt, sie wolle gleich ins Bett gehen und morgens zum Revier kommen.
    Tom achtete nicht auf die Fotografen, die ihre Ausrüstung zusammenpackten, und auf die Experten für Fingerabdrücke, die Hildas peinlich saubere Wohnung in ein Schlachtfeld verwandelten, und ging ins Schlafzimmer.
    Hilda hatte tatsächlich im Bett gelegen – soviel stand fest. Auf dem Kissen war noch der Abdruck ihres Kopfes zu sehen. Es war jetzt acht Uhr. Der Gerichtsmediziner schätzte, daß sie seit acht bis zehn Stunden tot war. Also war Hilda irgendwann zwischen zehn Uhr abends und Mitternacht aus dem Bett gestiegen, hatte ihren Morgenmantel angezogen und war zu ihrem Schreibtisch gegangen, um etwas zu schreiben oder zu zeichnen. Dann hatte sie den Wasserkessel aufgesetzt.
    Als Hilda, deren Pünktlichkeit jeder kannte, nicht aufgetaucht war, hatte Captain Shea bei ihr angerufen. Er war beunruhigt, als sie sich nicht meldete, und hatte den Hausmeister gebeten, nach ihr zu sehen. Hätte er das nicht getan, wäre ihre Leiche vielleicht erst nach Tagen entdeckt worden. Sie hatten kein Indiz für einen Einbruch gefunden, das hieß also, daß sie ihren Mörder aller Wahrscheinlichkeit nach selbst hereingelassen hatte. Hatte sie Besuch erwartet? Oder hatte sich eine mißtrauische, schlaue alte Füchsin wie Hilda täuschen lassen? Hatte sie geglaubt, sie könne dem Unbekannten, der vor ihrer Tür stand, trauen?
    Der Captain ging ins Wohnzimmer zurück. Aus welchem Grund hatte sie am Schreibtisch gestanden, als sie ermordet wurde? Wenn sie vermutet hätte, daß sie in Gefahr war, hätte sie dann nicht wenigstens versucht, zu fliehen?
    Hatte sie ihrem Besucher etwas gezeigt, als sie starb?
    Etwas, das er nach dem Mord an sich genommen hatte?
    Die beiden Detectives, die ihn begleitet hatten, richteten sich auf, als er näher kam. »Ich will, daß jeder in diesem Gebäude vernommen wird«, fuhr Captain Shea sie an.
    »Ich will wissen, wo sich jeder einzelne gestern abend aufgehalten hat und wann er nach Hause gekommen ist.
    Mich interessieren besonders die Personen, die zwischen zehn Uhr und Mitternacht gekommen oder gegangen sind.
    Ich will wissen, ob Hilda Johnson häufig Briefe geschrieben hat. Vielleicht weiß ja jemand was darüber.
    Im Revier könnt ihr mich erreichen.«

    Dort mußte der unglückliche Sergeant Hubbard, der sich über Hildas Beteuerungen, Carolyn Wells sei auf die Fahrbahn gestoßen worden, lustig gemacht hatte, die schlimmste Strafpredigt seines Lebens anhören.
    »Sie haben einen möglicherweise sehr wichtigen Anruf ignoriert. Hätten Sie Hilda Johnson mit dem Respekt behandelt, den sie verdiente, und einen von unseren Leuten zu ihr geschickt, dann wäre sie vielleicht noch am Leben. Oder wir hätten wenigstens eine heiße Spur im Fall Carolyn Wells. Sie Vollidiot!«
    Er zeigte wütend mit dem Finger auf Hubbard. »Ich will, daß Sie jeden, dessen Personalien am Unfallort aufgenommen wurden, befragen und herausfinden, ob er bemerkt hat, daß Carolyn Wells vor ihrem Sturz einen braunen Umschlag unter dem Arm trug. Kapiert?«
    »Ja, Sir.«
    »Und ich brauche Ihnen hoffentlich nicht zu sagen, daß Sie den braunen Umschlag nicht ausdrücklich erwähnen sollen. Fragen Sie nur, ob Sie etwas unter dem Arm trug, und was es war. Haben Sie das

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