Nimm dich in acht
darauf war sie sehr aufgeregt. Ich sagte, hoffentlich würden die Leute an Bord sie nicht ständig mit Fragen zu Geldangelegenheiten belämmern, und weiß noch, daß sie lachte und entgegnete, sie wolle Spaß haben und sich amüsieren, und über den Dow Jones-Index zu fachsimpeln, gehöre mit Sicherheit nicht dazu. Ihr Vater sei an einem Herzinfarkt gestorben, als er noch keine Fünfzig war, und vor seinem Tod habe er mit großem Bedauern von all den Ferienreisen gesprochen, für die er sich nie die Zeit genommen hatte.«
»All das untermauert die Theorie, daß sie eine Romanze auf See hatte«, sagte Susan. »Auf jeden Fall hört es sich so an, als sei sie dieser Vorstellung nicht abgeneigt gewesen.« Sie dachte an den Türkisring, den ihr Jane Clausen überlassen hatte. »Ja, ich glaube, das war’s, eine sorgfältig geheimgehaltene Romanze auf See.«
»Nun ja, was sie sagte, hat deinen Vater offenbar auf Ideen gebracht. Kurz darauf haben wir uns getrennt. Er hat sich unters Messer begeben, ließ sich die Haare färben und zog mit Binky herum. Übrigens hat er Dee zugeredet, eine Kreuzfahrt zu machen. Hat sie dir davon erzählt?«
Susan sah auf die Uhr. Sie wollte ihre Mutter nicht abwimmeln, mußte sich aber allmählich auf den Weg machen. »Nein, ich wußte nicht, daß Dee an eine Kreuzfahrt denkt. Aber ich habe gestern auch ihren Anruf verpaßt«, sagte sie.
Die Stimme ihrer Mutter klang plötzlich beunruhigt.
»Ich mache mir Sorgen um Dee, Susan. Sie ist deprimiert und fühlt sich sehr einsam. Von selbst kommt sie nicht wieder auf die Beine. Sie ist nicht so stark wie du.«
»Du bist selbst ziemlich stark, Mom.«
Ihre Mutter lachte. »Nicht stark genug, aber ich arbeite daran. Susan, streng dich nicht so an.«
»Mit anderen Worten, such dir einen netten Mann, heirate, sei glücklich.«
»So was in der Art. Irgendein interessanter Mann in Sicht, von dem du mir noch nicht erzählt hast? Als Dee angerufen hat, erwähnte sie jemanden, den sie auf der Binky-Charley-Party kennengelernt hat und der sehr angetan von dir war. Sie sagte, er sei ungemein attraktiv.«
Susan dachte an Alex Wright. »Er ist nicht übel.«
»Wenn man Dee hört, ist er mehr als ›nicht übel‹.«
»Mach’s gut, Mom«, sagte Susan fest. Nachdem sie aufgelegt hatte, stellte sie ihre Kaffeetasse in die Mikrowelle und schaltete den Ton des Fernsehers wieder ein. Ein Reporter sprach über eine ältere Dame, die in ihrer Wohnung an der Upper East Side erstochen worden war. Susan wollte den Fernseher gerade ausschalten, als der Sender noch einmal den Teil der gestrigen Abendnachrichten einspielte, in dem Hilda Johnson, das Mordopfer, behauptete, die Frau, die man auf der Park Avenue überfahren hatte, sei überfallen und gezielt auf die Fahrbahn gestoßen worden.
Susan starrte auf den Bildschirm. Die Staatsanwältin in ihr weigerte sich zu glauben, daß zwischen den Vorfällen kein Zusammenhang bestand, während sich die Psychologin in ihr fragte, welches kranke Hirn zwei derart brutale Verbrechen ersinnen könnte.
21
Auch wenn Hilda Johnson ihm manchmal furchtbar auf die Nerven gegangen war, Captain Tom Shea vom 19.
Revier hatte sie gemocht. Wie er zu seinen Männern sagte, waren Hildas Hinweise, alles in allem genommen, für gewöhnlich nützlich gewesen. Zum Beispiel hatte sich herausgestellt, daß ein Obdachloser, den sie einmal beschuldigt hatte, um den Spielplatz im Park herumzustreichen, wegen sexueller Handlungen mit Minderjährigen vorbestraft war. Und der Halbwüchsige, über den sie sich beschwert hatte, weil er mit dem Motorrad durch ihr Viertel kurvte, wurde auf frischer Tat bei einem Überfall auf einen älteren Passanten ertappt.
Als Captain Shea jetzt in Hilda Johnsons Wohnung stand, empfand er beim Anblick der in Chenille gehüllten Leiche der alten Frau sowohl Wut als auch Trauer. Die Polizeifotografen hatten ihre Aufnahmen gemacht. Der Leichenbeschauer hatte seine Arbeit getan. Man durfte sie berühren.
Shea kniete sich neben Hilda auf den Fußboden. Ihr Blick war starr, ihr Gesicht in einem Ausdruck der Panik versteinert. Behutsam öffnete er ihre Hände und untersuchte die Schnitte an ihren Handflächen. Sie hatte sich also vor dem tödlichen Stich, der ihr Herz durchbohrt hatte, zu schützen versucht. Er sah genauer hin. An den Fingern ihrer rechten Hand entdeckte er Flecke.
Tintenflecke.
Shea stand auf und wandte sich dem Schreibtisch zu. Er registrierte, daß er geöffnet war. Seine Großmutter hatte
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