Nimm dich in acht
äußere Tür der Praxis ab, steckte den Schlüssel in ihre Tasche und ging den Korridor hinunter.
Die Tür zu Neddas Kanzlei war erneut unverschlossen.
Susan folgte dem einladenden Aroma frisch gekochten Kaffees durch den Empfangsbereich und den Flur zur Küche. Dort stieß sie auf Nedda, deren allseits bekannte Schwäche für Naschwerk offenbar wurde, da sie gerade einen Mandel-Mokka-Kuchen anschnitt, den sie im Backofen aufgewärmt hatte.
Als sie Susans Schritte hörte, drehte sie sich um und lächelte strahlend. »Ich habe Licht bei dir gesehen und wußte, daß du vorbeikommen würdest. Du hast den Instinkt einer Brieftaube, wenn ich bei der Bäckerei war.«
Susan holte eine Tasse aus dem Küchenschrank und ging zur Kaffeemaschine hinüber. »Warum schließt du nicht ab, wenn du allein bist?«
»Ich hatte keine Angst – ich wußte ja, daß du da bist.
Wie sieht’s an der Familienfront aus?«
»Friedlich, danke. Mom scheint sich von ihrem Jahrestagskummer erholt zu haben. Charles hat angerufen, um mich zu fragen, ob die Party nicht ein echter Knaller gewesen wäre. Übrigens hatte ich als Ergebnis der Party eine recht interessante Verabredung. Mit Binkys Freund Alex Wright. Kultiviert und äußerst präsentabel. Er leitet die Stiftung seiner Familie. Ein sehr netter Kerl.«
Nedda hob die Augenbrauen. »Ach du grüne Neune, wie meine Mutter gesagt hätte. Ich bin beeindruckt. Die Wright Stiftung verteilt jedes Jahr ein Vermögen. Ich bin Alex mehrmals begegnet. Ein wenig zu zurückhaltend vielleicht, und er haßt es offenbar, im Rampenlicht zu stehen, aber soweit ich weiß, ist er der zupackende Typ und gibt sich keineswegs damit zufrieden, Vergünstigungen zu beziehen, nur weil er im Vorstand sitzt. Angeblich überprüft er jeden größeren Antrag auf Spenden selbst. Sein Großvater legte den Grundstein für das Vermögen, sein Vater verwandelte Millionen in Milliarden, und es heißt, daß beide bei ihrem Tod noch ihr Konfirmationsgeld hatten. Wie ich höre, ist Alex zwar Pragmatiker, aber ich nehme an, daß er aus anderem Holz geschnitzt ist als seine Vorfahren. Ist er witzig?«
»Er ist nett, sehr nett«, sagte Susan, erstaunt über die Wärme in ihrer Stimme. Sie schaute auf ihre Uhr. »Na schön, ich verschwinde wieder. Ich muß noch ein paar Anrufe erledigen.« Sie wickelte ein großes Stück von dem Mandel-Mokka-Kuchen in eine Papierserviette und nahm ihre Tasse mit. »Danke für das Care-Paket.«
»Keine Ursache. Komm doch heute abend auf ein Glas Wein vorbei.«
»Nett von dir, aber heute geht’s nicht. Ich bin zum Abendessen verabredet. Über ihn setze ich dich morgen ins Bild.«
Als Susan in ihre Praxis zurückkam, war Janet da und telefonierte. »Oh, warten Sie einen Moment, da ist sie«, sagte Janet. Sie deckte die Sprechmuschel mit der Hand zu. »Alex Wright. Er sagt, es sei persönlich. Und er klang so enttäuscht, als ich ihm sagte, Sie wären nicht hier.
Bestimmt ist er niedlich.«
Kannst du dir’s denn nie verkneifen? dachte Susan.
»Sagen Sie ihm, ich bin gleich da.« Sie schloß die Tür mit unnötigem Kraftaufwand, deponierte Tasse und Mokkakuchen auf dem Schreibtisch und nahm den Hörer ab. »Hallo, Alex.«
Seine Stimme klang belustigt. »Ihre Sekretärin hat recht.
Ich war tatsächlich enttäuscht, aber ich muß sagen, mich hat noch nie jemand als ›niedlich‹ bezeichnet. Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Janet hat die ärgerliche Angewohnheit, die Sprechmuschel mit der Hand zuzuhalten und anschließend die Stimme zu heben, um ihre vertraulichen Bemerkungen vom Stapel zu lassen.«
»Ich fühle mich trotzdem geschmeichelt.« Sein Ton veränderte sich. »Ich habe Sie vor einer halben Stunde zu Hause zu erreichen versucht. Ich dachte, es sei eine passende Zeit, da ich davon ausging, daß Sie gegen neun in der Praxis sind.«
»Heute war ich schon um halb acht hier. Ich fange gern früh an. Wer zu spät kommt … und so weiter.«
»Da sind wir uns einig. Ich bin auch Frühaufsteher. Das Privattraining meines Vaters. Er dachte, wer später als sechs Uhr aufsteht, verpaßt die Gelegenheit, einen Haufen Geld zu verdienen.«
Susan fiel das ein, was Nedda ihr gerade über Alex Wrights Vater erzählt hatte. »Teilen Sie seine Meinung?«
»Himmel, nein. Manchmal, wenn ich keinen Termin habe, bleibe ich bewußt länger liegen oder lese die Zeitung im Bett, nur weil ich weiß, wie sehr ihn das geärgert hätte.«
Susan lachte. »Seien Sie vorsichtig. Sie sprechen mit einer
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