Nimm dich in acht
ängstlich. »Sie erhalten vielleicht einen Anruf von Dr. Chandler. Sie hat angerufen, als ich gerade aus dem Haus gehen wollte, und ich habe ihr gesagt, daß Sie hier im Krankenhaus sind. Sie hat eine nette Stimme.«
»Sie ist auch sehr nett.«
»Ich lasse Sie ungern allein.« Vera seufzte. »Ich wünschte, ich könnte mich einfach zu Ihnen setzen und Ihnen Gesellschaft leisten.«
Ich habe doch Gesellschaft, dachte Jane Clausen und sah zum Nachtschrank hinüber, wo das gerahmte Foto von Regina stand, das Vera auf ihre Bitte mitgebracht hatte.
Auf dem Foto posierte Regina mit dem Kapitän der Gabrielle.
»In fünf Minuten bin ich eingeschlafen, Vera. Gehen Sie jetzt ruhig.«
»Dann gute Nacht, Mrs. Clausen«, sagte Vera und fügte mit belegter Stimme hinzu: »Und rufen Sie mich auf jeden Fall an, wenn Sie irgend etwas brauchen.«
Nachdem die Haushälterin gegangen war, nahm Jane Clausen das Foto in die Hand. Heute war kein guter Tag, Regina, dachte sie. Mit mir geht’s bergab, und das weiß ich. Und doch ist mir, als würde mich irgend etwas zwingen, durchzuhalten. Ich verstehe es nicht ganz, aber wir werden sehen, was passiert.
Das Telefon läutete. Jane Clausen stellte das Bild hin und nahm ab. Sie ging davon aus, daß der Anrufer Douglas Layton wäre.
Statt dessen war es Susan Chandler, und erneut erinnerte ihre herzliche Stimme Jane Clausen an Regina.
Unvermittelt gestand sie Susan, daß sie einen schwierigen Tag hinter sich habe. »Aber morgen müßte es viel leichter werden«, fügte sie hinzu, »und Doug Layton hat angedeutet, er hätte eine große Überraschung für mich. Ich freue mich schon darauf.«
Susan bekam mit, wie Mrs.
Clausens Stimme
vorübergehend munterer klang und dachte, daß sie ihr unmöglich sagen konnte, daß sie eine Überprüfung Laytons veranlaßt hatte, ohne es vorher mit ihr abzuklären.
Statt dessen sagte sie: »In den nächsten Tagen würde ich Sie gern mal besuchen – das heißt natürlich nur, wenn Sie Lust haben, mich zu sehen.«
»Reden wir morgen noch mal darüber«, schlug Jane Clausen vor. »Warten wir ab, wie die Dinge sich entwickeln. Im Augenblick lebe ich von einem Tag auf den anderen.« Dann fuhr sie zu ihrer eigenen Überraschung fort: »Meine Haushälterin hat mir gerade ein Foto von Regina gebracht. Manchmal macht es mich sehr traurig, mir Reginas Fotos anzusehen. Heute abend dagegen tröstet es mich. Ist das nicht komisch?«
Entschuldigend fügte sie hinzu: »Dr. Chandler, ich merke schon, daß Sie eine hervorragende Psychologin sind. Es ist eigentlich gar nicht meine Gewohnheit, über meine Gefühle zu sprechen, aber mich Ihnen anzuvertrauen, fällt mir sehr leicht.«
»Das Bild eines Menschen bei sich zu haben, den man liebt, kann sehr tröstlich sein«, sagte Susan. »Sind Sie beide zusammen auf dem Foto?«
»Nein, es ist eines dieser Fotos, die immerzu auf Kreuzfahrtschiffen geschossen werden. Man stellt sie zur Ansicht aus, damit die Leute sie bestellen können. Dem Datum auf der Rückseite nach ist es nur zwei Tage vor Reginas Verschwinden auf der Gabrielle entstanden.«
Das Gespräch endete damit, daß Susan versprach, am folgenden Tag anzurufen. Dann, nachdem sie sich verabschiedet hatte und den Hörer auflegen wollte, hörte sie Jane Clausen merklich erfreut sagen: »Oh, Doug, wie nett von Ihnen, vorbeizuschauen.«
Seufzend legte Susan den Hörer auf die Gabel, dann beugte sie sich vor und rieb mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. Es war sechs Uhr, und sie saß immer noch an ihrem Schreibtisch. Der ungeöffnete Behälter mit Suppe, der ihr Mittagessen hätte sein sollen, erinnerte sie an den Grund, warum sie beginnende Kopfschmerzen hatte.
In der Praxis war es still; Janet war schon vor langer Zeit gegangen. Manchmal stellte Susan sich vor, daß jeden Tag Schlag fünf im Kopf ihrer Sekretärin ein Feueralarm ertönte, danach zu schließen, wie sie aus der Praxis floh.
Das Böse ruht und rastet nicht, dachte sie, dann fragte sie sich, warum ihr ausgerechnet jetzt dieses Sprichwort einfiel. Das ist doch klar, entschied sie. Der Tag hatte mit einer bösen Tat begonnen – dem Mord an Tiffany.
Ich würde mein Leben darauf verwetten, daß Tiffany noch lebte, hätte sie mich nicht wegen des Türkisrings angerufen, dachte Susan. Sie stand auf und reckte sich müde. Jetzt habe ich Hunger. Vielleicht hätte ich mich doch mit Alex und Dee treffen sollen, dachte sie verdrossen. Dee wird mit Sicherheit nicht damit zufrieden sein, daß er ihr nur
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