Nimm doch einfach mich
auf, schob ihre Prada-Lesebrille auf dem Rücken ihrer Hakennase höher und blickte Avery scharf an. »Sie hat gar keine Affäre mit diesem alten Mann«, stellte sie sachlich fest. Avery nickte erleichtert.
»Ich hätte das schon viel früher richtigstellen sollen. Sie können mich feuern, wenn Sie möchten, aber bitte ziehen Sie den Artikel zurück. Was darin behauptet wird, ist einfach nicht wahr. Es ist alles gelogen.« Avery war sich jetzt ganz sicher, dass die Alkoholmischung, die noch von gestern Nacht in ihrem Blutkreislauf zirkulierte, sich schon sehr bald unangenehm Bahn brechen würde. Sie musste drin gend hier raus.
»Es tut mir leid!«, presste sie hervor, stürmte aus Tickys Büro und rannte auf die Toilette, wo sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Als sie sich anschließend im Spiegel betrachtete, stellte sie fest, dass ihr Gesicht und ihr Hals mit hektischen Flecken übersät waren und dass sie unendlich müde aussah. Ganz und gar nicht wie eine erfolgreiche Journalistin der Metropolitan . Mit hängendem Kopf verließ sie die Toilette, ging zu ihrem Schreibtisch, räumte ihre Sachen zusammen und steckte sich zuletzt noch die aktuelle Metropolitan – Ausgabe in ihre beerenfarbene Marc-Jacobs-Tasche. Auf dem Cover war ein Foto von Sienna Miller abgebildet, auf dem sie einen karierten Prada-Rock trug und gelassen und selbstbewusst wirkte. Das genaue Gegenteil von ihr selbst.
Plötzlich hörte sie das vertraute Klackern von turmhohen Absätzen auf dem Marmorboden. Ganz toll. Jetzt würde Ticky sie richtig fertigmachen. Avery straffte die Schultern und wünschte sich, sie hätte sich auf der Toilette eben übergeben.
»Avery?«
»Ich bin hier«, antwortete sie matt.
»Liebes, was machen Sie denn da?« Ticky betrachtete entgeistert den leer geräumten Schreibtisch. »Sie erinnern mich an meinen gottverdammter Ex-Mann. Einmal ein scharfes Wort, und schon war er dabei, seine Sachen zu packen. Aber als ich ihm dann wirklich den Laufpass gegeben habe, ist dieser Mistkerl doch tatsächlich aus allen Wolken gefallen!« Sie schüttelte den Kopf. Avery lächelte höflich.
»Sie haben recht. Wir kippen die Story. Sie basiert auf nichts als einem bösen Gerücht und das ist einfach nicht der Stil der Metropolitan . Stimmen Sie mir zu?« Avery war so sprachlos, dass sie nur nicken konnte. Sie würde nicht mit Schimpf und Schande aus der Redaktion gejagt werden? »Ich hätte Sie niemals mit James zusammenbrin gen dürfen. Obwohl ich sagen muss, dass Sie sich wacker geschlagen haben«, sinnierte Ticky. »Na schön, dann set zen wir Sie jetzt auf eine wahre Story an. Über welches Thema würden Sie gerne schreiben?«
Avery dachte nach. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie mit einem kleinen Aufnahmegerät herumlief und Leute befragte, welchen Designer sie trugen, wie ihnen die Party gefiel, oder ihnen eine der knallharten Fragen stellte, für die die Metropolitan bekannt war – zum Beispiel welches ihre schlimmste Kindheitserinnerung oder ihre größte Angst war. Aber sie konnte sich in dieser Rolle einfach nicht sehen. In ihrer Idealvorstellung von ihrem New Yorker Leben war immer sie diejenige gewesen, die im Rampenlicht stand und befragt wurde.
»Ehrlich gesagt …« Sie schüttelte den Kopf. Es war ihr sehnlichster Wunsch gewesen, dass Ticky sie anerkannte und in ihr ganz den Stil der Metropolitan verkörpert sehen würde. Als wäre das der magische Schlüssel, der ihr in New York alle Türen öffnete. Aber so einfach war es nicht. Sie wollte nicht wie McKenna oder Gemma werden, die sich mit verbissenem Ellbogeneinsatz ihren Weg an die Spitze erkämpften. »Wissen Sie, Ticky … Sie sind für mich immer ein Vorbild gewesen … vor allem nachdem meine Großmutter gestorben war«, begann Avery zag haft. »Aber ich fürchte, der Journalismus ist nicht das Richtige für mich.« Sie hoffte, dass sie der alten Dame damit nicht zu nahe getreten war und dass sie keine nähere Erläuterung von ihr verlangen würde.
Überraschenderweise nickte Ticky nachdenklich. »Ich würde mich allerdings freuen, wenn Sie Ihre Entscheidung in ein paar Jahren noch einmal überdenken würden. Sie haben sich bereits die ersten Sporen verdient. Unser Geschäft ist hart, das stimmt – aber wer einmal Geschmack daran gefunden hat, kann nie wieder die Finger davon lassen. Außerdem braucht diese Branche weiß Gott Leute mit wirklicher Klasse. Ich werde schließlich nicht ewig leben«, fügte sie bedauernd hinzu. »Aber
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