Nimm Platz und stirb
ein bißchen, als wäre kalter Wind durchs
Fenster gekommen. Ich dachte an das Bild in meiner Brusttasche.
»Und nun werde ich die fixe Idee nicht
los, daß Reinolds erste Ehe der Schlüssel ist zu dieser finsteren Story.
Deswegen wollte ich mit euch darüber reden.«
Weil sich niemand rührte, griff ich die
Whiskyflasche am Hals und füllte nach. Der Jühl sah aus dem Fenster. Die
Pünktchen in seinen Augen glimmten. Elsie guckte, als sähe sie ein
Kriminalstück im Fernsehen.
»Vielleicht kennt jemand die Frau?«
»Vielleicht«, sagte ich und trank.
»Kann sein, daß Serkoff was gewußt hat, oder Kirschbaum. Ich glaube aber nicht,
daß Stefan irgend etwas von ihr erzählt hat. Vorhin rief Gaby an. Ich habe sie
ganz sachte angebohrt. Nichts. Sie hat nur von der zweiten Frau gewußt.«
Der Jühl drehte das Gesicht zu mir.
»Und sie hat auch nicht mehr gewußt?«
»Nein. Nur ihren Künstlernamen. Andrea
Lacon. Nicht wie sie richtig hieß und wo sie begraben ist.«
Ich zögerte einen Moment.
»Aber — die Geschichte mit dem Gas, die
hat sie von der alten Wirtin einer Künstlerkneipe gehört, wo Reinold früher
verkehrte. Diese Wirtin hat die Andrea noch gekannt und der Vera davon erzählt.
Ich habe mir gedacht, mal in diese Kneipe zu gehen und die Wirtin zu fragen — wenn
alle beide noch da sind.«
»Hm«, der Jühl trank ein paar Schlucke
mit nachdenklichem Gesicht. Die Eisstücke klingelten leise in seinem Glas.
»Ich will Sie nicht ärgern,
Verehrtester — Ihre Vermutungen kommen mir etwas am Zopf herbeigezogen vor.
Wenn die Frau so lange tot ist — wer soll da heute noch ein Interesse daran
haben, ihren Verflossenen umzubringen? Mir sieht das zu sehr nach Drehbuch aus —
so, wie ›Schatten der Vergangenheit und so...«
»Er hat recht«, sagte Elsie. »Willst du
nicht lieber die Polizei sich darum kümmern lassen? Du wirst nur Unsinn machen,
ich weiß es!«
Ich nickte nachsichtig, als säße ich
vor störrischen Schülern. Ich hatte nichts anderes erwartet.
»Alles richtig, ihr Lieben. Die Polizei
hat ihre Methoden. Irgendwas wird sie rausfinden. Aber ich sitze von Anfang an
mit drin. Ich habe den Burschen nachts in der Dekoration gehört, ich habe
Stefan gefunden, und ich habe den Kerl von hinten in Pauls Garderobenmantel
gesehen. Wer weiß, wann der Kommissar mich bittet, in eine Zelle umzuziehen.
Aber die von der Polizei haben kein Motiv. Und seitdem ich das gestern gehört
habe, ist mir so, als wäre es das hier. Oder zumindest ein Weg dorthin. Seit
zehn Jahren war Stefan mein Freund. Warum soll ich jetzt nichts mehr für ihn
tun? Ich will nicht, daß der Kerl frei herumläuft, der ihn umgebracht hat!
Wollen Sie es?«
»Nein«, sagte der Jühl kurz.
»Hab’ ich gewußt«, sagte ich. »Deshalb
habe ich Sie eingeladen, gleich am nächsten Tag. Ich wollte nicht den ganzen
Salat allein mit mir rumtragen. Und Elsie wollte Sie ja auch noch wiedersehen.
Morgen betrachten wir in aller Ruhe die Kneipe. Vielleicht finden wir was. Wenn
nicht, haben wir uns geirrt, wie der selige Serkoff sagen würde. Wenn doch,
können wir jederzeit den Onkel Nogees auf die Fährte setzen. Ich bin in seiner
Schuld, und außerdem ist es die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, die Polizei
zu unterstützen. Machen Sie mit?«
Elsies Augen gingen von mir zu ihm. Er
nickte.
»Ich mache mit.«
Ich hatte es gewußt. Ich hatte mich
nicht getäuscht. Während ich meinen Whisky runterschluckte, grinste ich
fröhlich und erleichtert.
»Der gute Stefan müßte uns sehen!«
sagte ich.
XV
Die Reinhardtstraße war ein schmaler,
kurzer Schlauch, der von der Parisiusstraße nach rechts abging. Ich bog im
zweiten Gang um die Ecke und sah durch eine geöffnete Flügeltür in das Innere
einer Stehbierkneipe. Die Rentner standen um den Tresen herum und waren bemüht,
soviel wie möglich von ihrer Unterstützung zu versaufen, ehe ihre Frauen sie
abholten.
Die Häuser hatten den Bombenkrieg
überstanden und waren dementsprechend betagt. Es war eine Einbahnstraße, und
allerhand Autos standen zu beiden Seiten. Langsam rollten wir vorwärts.
»Sehen Sie nach rechts«, sagte ich zum
Jühl. »Ich schau auf die linke Seite.«
»Da ist was«, sagte er nach ein paar
Minuten, »nee — Café Museum.«
»Den Kuchen möchte ich sehen«, murmelte
ich.
Dann tauchte kurz vor der hinteren Ecke
das rosa Geflimmer einer Neonschrift auf, schräge Schriftzüge, wie vom
Liebesbrief einer höheren Tochter. »Bei Adele.«
»Na
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