Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
schreiben. Am
Abend des dritten Tages standen meine Änderungen mit den kühnen Bildern und den
unvergleichlichen Dialogen. Draußen war es still. Ich stellte mir vor, wie ich
bei der Uraufführung im Kino sitzen würde, mit einer Ehrenkarte und dem
umgearbeiteten Smoking meines Vaters und ganz ergriffen.
    Meine Uhr zeigte elf, als ich fertig
war. Ich ging hinaus auf die Galerie, rauchte und überlegte, was besser zu
machen wäre. Ich’ kam darauf, daß das ganze Drehbuch umgearbeitet werden müßte.
    Die Halle lag unter mir wie eine dunkle
Schlucht. Nur eine matte Birne brannte über einer Tür auf der anderen Seite,
unendlich weit weg, erdrückt von der Finsternis. Das aufgetürmte Gebäude der
Dekoration war nur zu ahnen, und die Ketten zum Dach, an die es sich klammerte,
blieben unsichtbar. Ich trat die Zigarette aus. Mir war nichts mehr
eingefallen. Ich saß wieder in meinem Zimmer vor den Tasten und versuchte, mir
die Szene gespielt vorzustellen. So könnte Reinold es machen, oder vielleicht
so.
    Dann hörte ich das Geräusch.
    Es war so still im Gebäude, daß ich es
nicht überhören konnte, trotz der Eisentür. Leise Schritte kamen vom Gang her,
der von den Büros und Garderoben zur Hallengalerie führte. Gleichmäßig und ohne
zu zögern, eine Spur zuwenig forsch aufgesetzt, zu vorsichtig für einen von der
Wach- und Schließgesellschaft, zu nahe am Schleichen. Er kam um die Ecke herum,
betrat die Holzplanken. Der Ton hallte jetzt lauter, vibrierte vor meiner Tür.
Ich hielt den Atem an und sah auf die Klinke. Sie bewegte sich nicht. Die
Schritte verklangen.
    Ich hörte nichts mehr. Je mehr Zeit
verging, desto mehr ärgerte ich mich. Mordgeschichten erfinden und Angst haben.
Eine Schande. Es mußte gut gemacht werden. Sofort. Ich blieb noch sitzen. Wer
konnte sich um diese Zeit herumtreiben? Der Pförtner? Kirschbaum, der
Allgegenwärtige? Möglich. Vielleicht suchte er auf dem Gelände nach
herumliegenden Nägeln. »Alles mein Geld!«
    Nach einer Minute war mein Heldenmut
wieder da. Nur ein bißchen fehlte noch. Ich drückte auf den Knopf der
Schreibtischlampe. Es wurde finster wie in einem stillgelegten Bergwerk. Dann
schlich ich zur Tür. Die Klinke machte kein Geräusch. Auch die Tür knarrte
nicht. Eine Holztür hätte geknarrt, aber hier waren die Angeln geölt, und sie
gingen lautlos wie die eines Tresors. Ich öffnete so weit, daß mein Kopf durch
den Spalt paßte.
    Auf der Galerie bewegte sich nichts.
Die Halle umschloß die gleiche tiefe Dunkelheit in ihren Mauern.
    Dann kam ein schleifender Laut zu mir herüber.
Ich drehte ein Ohr in den Türspalt und schielte mit dem entsprechenden Auge in
die Finsternis. Ich sah nichts. Nur das Schleifen hörte ich wieder. Es war, als
bewegte sich jemand vorwärts, mit tastenden, unsicheren Schritten, irgendwo in
der riesigen Halle, in völliger Dunkelheit.
    Ich öffnete meine Tür weiter und
brauchte mehr Kraft zum Lauschen als zum Atmen. Ich konnte nicht bestimmen, wo
das Geräusch war. Es schien in der Richtung unserer Dekoration zu sein, aber
genausogut irgendwo anders, an den Wänden auf der anderen Seite der Galerie,
auf einer der Treppen. Von wo es auch immer kam, es war jemand in der Halle.
    Mein Herz schlug wie eine Standuhr.
Dafür nahm ich den Rest meines Körpers besser zusammen und dachte nach. Sicher
etwas ganz Normales. Wache, Kontrolle, Heizer. Als ich bei dem Heizer angelangt
war, klirrte es, leise, aber unverkennbar, Metall auf Metall, wie zur
Bestätigung. Natürlich. Heizer. Kirschbaum würde gar nicht daran denken, ihm
die Überstunden zu bezahlen. Immerhin — schließlich hatte auch ich bis vorhin
gearbeitet ohne die geringste Aussicht, von Kirschbaum einen Pfennig oder von
Serkoff eine seiner Kopeken zu bekommen. Es blieb alles still nach dem Klirren.
Ich begann mir zu überlegen, ob ich auf Grund der Nachtarbeit und des erregenden
Drehbuches zu spinnen anfinge. Es wäre ein Zeichen gigantischen Muts gewesen,
im Dunkeln dem Unbekannten nachzuschleichen, ihn zu Stellen, zu überwältigen
und mit der linken Hand der Polizei zu reichen. So machten es meine Helden.
    Dann hörte ich das schabende Geräusch
noch einmal, diese tastenden, vorsichtigen Schritte, als übe ein Seiltänzer mit
verbundenen Augen. Dann war es wieder still, Totenstille und doch war es nicht
still genug. Ich hörte nichts mehr, aber ich fühlte es. Die Planken unter
meinen Füßen bebten.
    Der Schatten aus der Dunkelheit kam
zurück.
    Auf mich zu.
    Jetzt wäre die

Weitere Kostenlose Bücher