Nimmermehr
erkannte ich die verdutzten Gesichter der Fahrgäste, die das Heulen hörten und sich der entstellten Fratzen vor den Fenstern bewusst wurden. Mit einem Zischen öffneten sich die Türen, und die Geisterwesen quollen ins Innere.
Erst die panischen Schreie brachten mich wieder zu Bewusstsein und ließen mich rennen.
Ich wählte die erste Tunnelöffnung und hoffte, dass sie zum Ausgang führte. Hinter mir wurden die Schreie, durchsetzt vom Knurren und Fauchen, lauter. Die Menschen kreischten in Todesangst, und ich wusste, dass niemand dieses Gemetzel überleben würde.
Bangen Herzens fragte ich mich, wie viele von diesen gespenstischen, heulenden Geschöpfen in den Schächten der U-Bahn leben mochten. Doch wurde ich schnell aus diesen Gedanken herausgerissen, als ich mir der Geisterkreatur bewusst wurde, die mir folgte. Mit großen Sprüngen setzte sie mir nach.
Ich rannte. Die Lungen brannten mir. Vor mir machte der röhrenförmige Tunnel einen scharfen Knick. Ein Blick zurück zeigte mir, dass das heulende Gespensterding aufholte.
Wieder nach vorn blickend, rannte ich weiter. Als ich den scharfen Knick im Tunnel passierte, traf mich der Schlag völlig unvorbereitet. Etwas, was mich an der Brust getroffen hatte, ließ mich zu Boden gehen. Für Sekundenbruchteile wurde mir schwarz vor Augen. Ich schnappte nach Luft. Dann erkannte ich ein weiteres Gespenst, durchsichtig und die Zähne fletschend. Ich wälzte mich zur Seite, sodass das Geschöpf dicht neben mir auf den Asphalt prallte und laut heulte. Ich sprang auf und wurde einer Rolltreppe gewahr, die nach oben führte. Auf die Treppe zulaufend, bemerkte ich vier weitere Gespensterwesen, die aus den zwei anderen Gängen auf mich zustürmten. Und als ich die Treppe erreichte, machte mir ein lautes Heulen klar, dass auch weiter oben am Ende der Treppe eines der Wesen auf mich wartete.
Leonores Worte kamen mir in den Sinn. »Mich hungert nach dir.«
Am Fuße der Rolltreppe gelang es einem der Geschöpfe, mein Fußgelenk zu packen. Es riss mich zu Boden. Ich spürte die Bewegung der Rolltreppe in meinem Rücken und sah den durchsichtigen Gespensterkreaturen ins Antlitz, deren Zahl mittlerweile auf fünf angewachsen war. Ich dachte an den armen Miles, dem ich nicht hatte helfen können, und daran, dass mich nun das gleiche Schicksal ereilen würde. Doch während ich, schwitzend und verängstigt auf den Stufen der Rolltreppe liegend, langsam aufwärts fuhr, beobachteten mich die Kreaturen lediglich. Sie folgten mir, sprangen um mich herum und schnupperten. Ich erkannte die wilden Augen in den einstmals menschlichen Gesichtern. Am oberen Ende der Rolltreppe angekommen, kroch ich rückwärts auf dem Boden entlang, von den Kreaturen umgeben. Jaulend und heulend verständigten sie sich. Einige von ihnen fassten mich an und nahmen Witterung auf.
Dann ließen sie von mir ab.
Verschwanden, wie sie gekommen waren.
Es schien vorbei.
Nur von Ferne drangen noch leise verzweifelte Schreie an mein Ohr. Ich musste an Miles denken und erinnerte mich seiner Frau und seiner Tochter.
Dann übermannte mich eine schwarze Ohnmacht.
Erst danach war es wirklich vorbei.
»Es war leichtsinnig gewesen, die U-Bahn zu benutzen.«
»Das ist es immer«, antwortete ich.
Leonore fiel mir überglücklich um den Hals, als sie mich sah. »Es hätte Schlimmeres passieren können«, flüsterte sie und küsste mich stürmisch. Nach dem Desaster in der U-Bahn war ich in meine Wohnung zurückgekehrt.
Zu meiner Überraschung hatte Leonore dort auf mich gewartet.
»Sie haben mich nicht angerührt«, sagte ich.
»Weil du einer von ihnen bist, Richard.«
Ich starrte sie an. Mein Herz raste. »Was?«
»Du weißt es.«
Wir sahen einander an. Lange.
Die Erkenntnis war wie ein Schmerz, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
»Du hast von meinem Blut getrunken«, sagte ich.
Leonore wich meinem Blick nicht aus. »Du verstehst es also?«
Mir schwindelte.
»Was waren das für Kreaturen?«
»Sukkubi.«
Sie ergriff meine Hand. »Sie spürten, dass du kurz davor bist, einer von ihnen zu werden.«
»Warum hast du das getan?« Meine Stimme zitterte. »Warum, Leonore?« Sie musste gewusst haben, welchem Schicksal sie mich überantwortete, als sie mein Blut trank und mich am Leben ließ.
Tränen traten in die blauen Augen. »Weil ich mich in dich verliebt habe, Richard. Ich habe die Kontrolle verloren. Ich wollte dir kein Leid zufügen, das musst du mir bitte glauben.«
»Was wird jetzt mit mir
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