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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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zahlte.
    Sie musste bereit sein, wenn Norris zu gehen gedachte. Folgen würde sie ihm, schattengleich und schnell, wie die Schlange sich durchs hohe Gras bewegt. So, wie sie es seit Wochen schon tat. Nie hatte er Verdacht geschöpft, was an ihrem unauffälligen Auftreten liegen mochte: Hornbrille, zopfgeflochtene Haare, grauer Mantel. Es war ihr strenges, humorloses, emanzipatorisches Wesen, das die Männer das Weite suchen ließ. Sie war nicht der Typ Frau, dem die Männer wie räudige Rüden hinterherstarrten. Sie war kühl. Schlau. Faithful hatte das erkannt. Er hatte ihr hinterhergestarrt. Er hatte sie angesprochen. Faithful war eben ein Algokin-Indianer.
    Wie auch immer – kurz nachdem sie die Rechnung beglichen hatte, verließ Norris das »Chez Paul«. Der rauchkringelpustende Fleischberg erhob sich schwerfällig, die wulstigen Lippen formulierten einen Scherz, ein Ober flitzte mit Mantel, Hut und Schal herbei und half dem Tycoon, in die Sachen zu schlüpfen. Das katzbuckelnde Personal lächelte, und Norris wankte nach draußen.
    Amelia Guttmundsdottier, die jetzt wie eine Schlange im hohen Gras war, folgte ihm.
    Ein eisiger Wind fegte durch die Straßenschluchten.
    Der Big Apple war in einem schneelosen Winter erstarrt. Autos hupten wütend, und Passanten rasten ungeduldig. Die Luft war voller Rauchschwaden, Abgase, ekligen Gerüchen.
    Ja, dies war die Welt des Philip Norris. Amelia schluckte wütend. Die Welt der Raucher, Abhängigen, Süchtigen, Gewalttätigen, Sexbesessenen. Es waren Leute wie Norris, die man dafür zur Verantwortung ziehen musste. Oh ja, Leute wie dieser kleine dicke Mann, der schnaubend und keuchend vor ihr den Gehweg entlangwatschelte.
    Und es waren Leute wie sie, Amelia Guttmundsdottier, Faithful und all die anderen, die der Welt die Rettung bringen würden.
    »Man muss böse Geister bekämpfen, wenn man sie sieht.« Hatte Faithful gesagt.
    »Du siehst sie?« Eigentlich war es gar keine Frage gewesen.
    »Ich bin Algokin«, hatte Faithful erwidert.
    Gut so!
    Norris jedenfalls ging Richtung Madison Square. Das tat er jeden Nachmittag, sein Ritual. Er latschte zur Pennsylvania Station, nahm von dort aus die Bahn und fuhr zu seinem Büro in Union City.
    Doch heute würde er dort nicht angekommen. Heute würden sie zuschlagen.
    Es war so weit.
    Zwei Mitverschwörern war Amelia unterwegs begegnet. Zeichen hatten sie sich gegeben, geheime Signale ausgetauscht.
    Norris war ahnungslos.
    Die Falle konnte zuschnappen.
    An der nächsten Ecke kam ein heulender und quietschender Chevy neben dem Gehweg zum Stehen. Drei maskierte Gestalten sprangen Ninja-gleich aus dem Wagen, packten den dicken Mann drohend und sich überaus wild gebärdend, zerrten ihn ins Wageninnere, zertraten seine Zigarre, knebelten ihn blitzschnell und gekonnt, verbanden seine Augen, machten ihm Angst.
    Verwirrte Passanten beobachteten alles interessiert. Keiner rührte einen Finger.
    Gut so!
    Amelia stand inmitten dieser trägen Passanten (von denen einige rauchten).
    »Tod den Rauchern!«, schrie einer der Maskierten (es war eine Frauenstimme).
    Ein anderer Maskierter warf Flugblätter in die Luft.
    Türen knallten, Reifen quietschten, der Motor heulte auf. Der Chevy verschwand im dichten Verkehr, wurde auch zu einer Schlange im Gras.
    Perfekt!
    Amelia atmete durch. Hoch erhobenen Hauptes verließ sie die Ansammlung Flugblätter lesender New Yorker – und ein wunderbarer Gedanke bemächtigte sich ihrer: Jetzt gehört P.E. Norris uns!
     
    Glooskap war ein mächtiger Krieger gewesen. Er eroberte die Kewawkqu’ und die Medocolins. Er war stolz. Er war groß. Er war ein Gott. Er fing den Sommer ein und den Winter und machte sie sich Untertan. Doch die Zeiten änderten sich. Glooskap verließ die Plains und ging in die Stadt. Dorthin, wo die Geister im Rauch lebten. Dorthin, wo eine Schlacht zu schlagen war. Eine Schlacht, von der das Wohl der Menschheit abhing.
     
    Dunkelheit umgab ihn. Feuchte, erdige Dunkelheit.
    Etwas war dort, scharrte in dieser Nacht. Ein wuselndes, nagendes Etwas.
    Wo war er?
    Wohin hatten diese Irren ihn verschleppt? Was, zum Teufel, wollten sie überhaupt von ihm? Geld, so hatte ihm eine verzerrte Stimme verkündet, war es nicht. Was aber konnte es dann sein?
    Norris hatte keine Ahnung, warum man ihn entführt und in dieses stinkende Kellerloch gesperrt hatte. Es war eine Frechheit, ungeheuerlich! Ihm gehörte der größte Tabakwarenkonzern der Welt. Er besaß Marktanteile, die Prozentrechnung nahezu

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