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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Stimme sang sie »Turn on me«, und es hätte nur noch gefehlt, dass sie sich beim Singen auszog. Die miese Nummer wurde jedenfalls nicht besser, nur weil Venus sie darbot. Manches ändert sich eben nie. Dafür erntete Neptun tosenden Applaus mit einem schwungvollen »Fly me to the Moon«.
     
    Trotzdem. Die Suppe in dem Kübel zeigte keinerlei Reaktion.
    Pluto war an der Reihe. Zu einer seltsamen Nummer namens »Tie a Yellow Ribbon Round the Ole Oak Tree« schwang er die Hüften, erntete aber nichts als Gelächter.
     
    »Die sind genauso beschissene Sänger, wie ich es bin«, flüsterte ich Halley zu.
    Der Komet schwieg, aber sein Gesicht sprach Bände.
     
    Am Ende betrat das kleine Landei mit den Zöpfen die Bühne und begann zu singen. »Whatever will be, will be« war der Song, den sich die Erde ausgesucht hatte und den sie voll ehrlicher Leidenschaft sang.
    Stille trat ein. Alle lauschten der Melodie.
    Die Kleine hatte wirklich ’ne gute Stimme, und die Ursuppe schien gleicher Meinung zu sein, denn in dem Kübel begann es zu zischen und zu brodeln, und silberne Spritzer heißen Lebens schwappten über den Rand.
     
    Als die Erde fertig war, stand sie einfach nur da. Irgendwie verlegen.
    Applaus setzte ein.
    Sogar die Kometen waren begeistert.
    Solaris verkündete: »Das Leben findet seinen Weg.« Nach und nach löste sich die Runde auf.
     
    »Das«, sagte Halley zu mir, »war ein denkwürdiger Moment für diesen Teil der Galaxis.«
    Ich zündete mir eine Zigarette an und lächelte der Erde zu.
    »Du sagst es, alter Junge. Du sagst es.«
    Das Leben hatte seinen Weg gefunden. Wie es das Leben immer tat.
    So ist das im Leben.
    That’s just the way it is.

Marten
1.
    Es war bitterste Furcht, die mit der Dämmerung die kalte Wintersonne aus den Herzen der Männer vertrieb. Furcht vor dem, was sich in der Dunkelheit verbarg.
    »Wenn die Lichter ausgehen«, sagte der Mann mit der Glatze, »dann wird es kommen.«
    »Dann lasst die Lichter doch brennen«, schlug Marten vor. »Geht nicht.« »Warum?«
    »Das hier ist ein Kaufhaus. Wir haben Vorschriften.« Marten schüttelte den Kopf. »Dann wird es eben kommen«, stellte er nüchtern fest.
    Der Mann mit der Glatze nickte aufgeregt. »Sag ich ja. Es wird kommen, und einer von uns wird verschwinden.« Mit »einer von uns« meinte er die Nachtschicht. »Seit zwei Wochen ist das so. Jede Nacht nimmt es einen von uns mit, und keiner weiß, wohin.«
    Marten fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen.
    »Was sagt die Geschäftsleitung dazu?« »Die stellen einen Neuen ein. Jemanden wie dich.« Marten nickte nur. »Seit wann arbeitest du hier?« »Seit drei Tagen.« Der Mann mit der Glatze schaute sich um, als fürchtete er fremde Ohren. Dann flüsterte er: »Ich habe Geschichten gehört.«
    Draußen kratzte die Nacht ans Fenster.
2.
    Dies war die erste Nacht, die Marten im Kaufhaus verbrachte. Das Kaufhaus stand irgendwo in der Mitte der großen Stadt. Einer Stadt, die so weit im Norden lag, dass der Süden nichts weiter mehr war als eine dumpfe Erinnerung in den Träumen der alten Menschen. Marten war hierher gekommen, um zu vergessen. Und weil man ihn gerufen hatte, gewissermaßen. Ja, auch er hatte von den Geschichten gehört, die man sich erzählte. Von dem, was hier leben sollte. Hier, im nördlichsten Norden des Nordlandes. In dem Kaufhaus, einem riesigen Bauwerk, das weder Anfang noch Ende zu haben schien. Nur endlose Stockwerke, vollgestopft mit Dingen und Sachen. Marten kannte Orte wie diesen. Dort, wo er herkam, hatte es sie auch gegeben.
    Aber jetzt war er hier.
    Draußen wurde es dunkel, und er dachte an die Geschichten, die man sich an den Lagerfeuern zugeraunt hatte. An das, wovon auch die Geschichten kündeten, die der Mann mit der Glatze ihm erzählte.
3.
    »Es hat hoch im Norden begonnen«, sagte der Mann mit der Glatze, der auch einen Namen hatte: Gunther.
    »Wir sind hoch im Norden.«
    »Noch nördlicher.«
    »Die Stadt ist die nördlichste Stadt, die es gibt.«
    Gunther sagte: »Jenseits davon.« Bedeutungsschwanger strauchelten die Worte in der trockenen Heizungsluft. »Hoch oben, wo die Mauern der Städte, wie man sagt, aus Schnee und Eis bestehen.«
    Marten betrachtete sein Gegenüber. Gunther war doppelt so alt wie er und überragte ihn um mehr als zwei Köpfe. Ein dichter Bart verbarg die Hälfte seines Gesichts. »Auch dort gibt es Kaufhäuser, und man erzählt sich, dass es dort begonnen hat. Es kam mit der Dunkelheit, immer

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