Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
durch den Norden des Landes. Jetzt hatte er den Jungen mit sich genommen. Allein um mir zu zeigen, welche Bewandtnis es mit unseren Kindern hatte. Früher oder später mussten wir unsere Kinder töten, um die Reinheit unserer Gestalt zu bewahren. Wir würden nicht altern, versprach er mir, wenn wir vom Blut unserer Nachkommen tränken. Deshalb sei es wichtig, sie nicht zu lieben. Wir dürften keine Gefühle für den Nachwuchs entwickeln, weil dies unser Handeln hemmen würde. Es war Fleisch aus unserem Fleisch, gezeugt in der Lust des Augenblicks. Die grundlegenden Dinge des Lebens sind eben einfacher Natur. Unsere Kinder leben allein, um für uns zu sterben. Die Vermehrung findet auf anderem Wege statt (den ich bereits erwähnte). Eine simple Regel, welche von der Natur für uns aufgestellt wurde.
    So sah ich also klar. Zweifelsohne war ich aufs Äußerste schockiert, dachte ich doch augenblicklich an Rudolf und die beiden Mädchen. So stand deren Schicksal also bereits fest. Jedenfalls bestätigte mich Andrássy in diesem Punkt. Es gäbe keine andere Möglichkeit, dem Altern zu entrinnen. Seine Stimme klang traurig, als er mir dies alles offenbarte.
    Doch dauerte diese Fassungslosigkeit nur kurz an. Schnell ließ ich nach Ida rufen, die dafür Sorge trug, dass der Leichnam des Jungen verborgen wurde. Als ich Gyula betrachtete, wirkte er bereits wenige Augenblicke nach dem Mahl erquickt, wenngleich noch immer sehr ernst. Er legte mir nahe, den Übermut zu zügeln, damit wir vor der Welt verbergen konnten, was wir waren. Die Macht, die wir besaßen, konnte wie eine süße Gabe erscheinen, wurde er nicht müde zu betonen. Sie war leicht zu gebrauchen, doch solle ich mir vor Augen halten, dass ich auch Verantwortung trüge. Die Welt da draußen, so Gyula, würde schon bald zerfallen. Die Anzeichen waren überall zu sehen. Es lag der Geruch erneuten Krieges in der Luft. Überall stöhnten die Menschen, hungerten nach besseren Zeiten, nach einer Freiheit, die das aristokratische System ihnen niemals würde geben können. Zwischen den Staaten brodelte es. Russland agierte zunehmend aggressiver und meldete neue Besitzansprüche an. Österreich schlug sich auf die Seite Preußens, und in Ungarn wollte man sich nach wie vor der fremden Herrschaft entledigen.
    Die revolutionären, antiklerikalen und antiaristokratischen Tendenzen nahmen zu, und Gyula sagte, dass Rudolf, mein eigener Sohn, einer der führenden Träger bürgerlichen Gedankenguts sei. Rudolf hatte den Grafen von klein auf bewundert. Bereits früh hatte er damit begonnen, Andrássy nachzueifern, wobei ihm sein Hang zur Wissenschaft und zur Schriftstellerei behilflich war, die richtigen Leute aus den intellektuellen Zirkeln kennenzulernen. Rudolf suchte den offenen Konflikt mit seinem Vater und sah sich selbst als Vorreiter einer neuen Weltordnung. Man hörte bereits von radikalen Verbindungen in der Hauptstadt, die Rudolf auf den Thron setzen wollten. Gerüchte, betonte Andrássy – wenngleich man sie auch nicht vollkommen ignorieren sollte.
    Im Laufe des Gespräches unterbreitete mir der Graf dann einen Vorschlag, den ich erst Jahre später in die Tat umsetzen sollte.
    Genauer: am 30. Januar 1889. Vieles war in all den Jahren geschehen, und nur weniges davon verdient hier eine genauere Betrachtung. Das Leben langweilte mich zusehends. Die Menschen langweilten mich. Der geistlose Pöbel, der nach Freiheit schrie. Schmutzige Leiber, die unsere Schlachtfelder rot färbten. Radikale schändeten das Werk Heines, und als ich dem jüdischen Poeten auf Korfu ein Denkmal errichten ließ, reagierte der Kaiser (wie auch das dümmliche Volk) intolerant und erzürnt. Andrássy zog sich aus der Politik zurück und besuchte mich hin und wieder auf Korfu, wohin ich mich immer wieder flüchtete, nachdem ich selbst der Vorzüge Gödöllös überdrüssig geworden war. Nach den Entwürfen klassischer Tempel hatte ich dort eine Villa erbauen lassen, dem Krieger Achill gewidmet. Ich bereiste die Welt und mied den Kaiser und meine Kinder. Immer öfter besuchte ich die englische Insel, um dort auf die Jagd zu gehen (Sie ahnen, dass ich damit nicht ausschließlich die Fuchsjagd meine). Graf Bay Middleton, mein Gastgeber, genoss die Gesellschaft der österreichischen Kaiserin, und zwischen den Verwandtschaftstreffen (mit Entsetzen wurde ich des aufgedunsenen Körpers Viktorias gewahr) traf ich einige englische Edelmänner, von denen mir Lord Ruthven (ein Bekannter Andrássys aus der

Weitere Kostenlose Bücher