Nimmermehr
Pariser Boheme) am liebsten war, weil sich vortrefflich mit ihm streiten ließ. Er nannte einen wunderbar abgründigen Geist sein eigen, und ich bedauerte es immer wieder aufs neue, dass er selten die Zeit für einen längeren Aufenthalt erübrigen konnte.
Zwischen all den Reisen und Beutezügen jedoch kehrte ich stets nach Korfu zurück. Dort, inmitten der saftigen Zitronenbäume, den Geruch des Meeres im Gesicht und mit geschlossenen Augen in den Tag träumend, traf ich dann endlich eine Entscheidung. Besorgt hatte ich in den letzten Monaten feststellen müssen, dass sich die Spuren der vergangenen Jahre immer deutlicher im Spiegel zeigten. Was mich an meine erwachsenen Kinder denken ließ. Die Kinder, die ihr Leben fernab von dem ihrer Mutter führten. Gedanken, die mich letzten Endes nach Mayerling brachten.
Ich bitte Sie – der Abscheu in Ihrer aller Augen ist doch unangebracht. Auch Sie werden schon bald nach den Gesetzen, die die Natur uns auferlegt hat, handeln. Trotz wird auch Ihnen nicht helfen, keinem von Ihnen.
Darum lauschen Sie weiterhin meinen Worten. Lassen Sie mich vom Untergang der Welt berichten.
Töten ist eine Kunst, meine Zuhörer. Das Fleisch bäumt sich auf und fleht um Leben. Doch es naht keine Hilfe, denn der Griff des Wiedergängers ist kräftig. Das Erkennen in den todgeweihten verzweifelten Augen, die um Gnade betteln, ist sinnlos, denn der Wiedergänger kennt kein Mitleid. Ein Skorpion empfindet keine Reue, weil er nur das tut, wozu er geschaffen wurde. Genauso der Wiedergänger. In jenem Augenblick, wenn die Beute mit dem Tode ringt, tut man das, wozu die Natur einen bestimmt hat. Es gibt keinen Zwist. Die Welt pulsiert, wenn man den Herzschlag der Beute fühlt. Hunger und Macht erzeugen einen unwiderstehlichen Rausch. Der Wiedergänger stillt seinen Durst und nimmt das Leben der Beute. Im Augenblick des Todes ist der Wiedergänger ein Gott.
Das ist es, was ich in Mayerling fühlte.
Ich folgte Rudolf und seiner Geliebten Mary Vetsera. Im Jagdschloss Mayerling gedachten die beiden einige intime Tage zu verbringen. Die Kälte war klirrend in jenem Winter. Ich entsinne mich, vor dem Anwesen im tiefen Schnee zu stehen. Mein Pferd, der brave »Nihilist«, wartet tiefer im Wald auf die Rückkehr seiner Herrin. Skrupel bemächtigen sich meiner, wenngleich auch nur kurz. Dann schreite ich auf die Pforte zu, bitte klopfend um Einlass. Die Lakaien stellen kein Hindernis dar. Für einen geübten Wiedergänger ist es ein Leichtes, in die Gedanken der Sterblichen zu schlüpfen. Sie lassen mich ein, ohne auch nur zu ahnen, dass es die Kaiserin ist, der sie soeben das Tor geöffnet haben. Flink bewege ich mich durch die Korridore, suche die Schlafgemächer auf, wo Rudolf und Mary, Wein trinkend und lachend, auf dem Bett sitzen. Verwunderte Blicke streifen mich, als ich eintrete. Rudolfs Lippen formen das Wort Mutter, als ich den Raum durchquere und seine Geliebte mit einem einzigen Hieb niederstrecke. Tränen treten in meines Sohnes Augen, als ich ihn anfalle und wir in einer engen Umarmung in die weichen Kissen sinken. Ich ersticke seine Schreie mit einem tiefen Kuss, presse die Lippen auf die meines Sohnes und beiße mich in der Zunge fest. Das Blut beginnt zu fließen, und ich trinke, während das Zucken des Körpers unter mir schwächer wird. Wenn meine Zähne gegen die seinen schlagen, dann ist mir, als zerbreche Porzellan. In einem langen Kuss trinke ich mein neues Leben. Eine Schönheit, die all die Marterungen des Körpers nicht zu vollbringen vermochten, wird mein sein.
Dann ist es getan. Ich erhebe mich vom Bett, stehe da und betrachte den Leichnam. Der bewusstlosen Mary Vetsera streiche ich sanft durch das wallende Haar. Dann greife ich nach dem mitgebrachten Revolver. Der Wiedergänger, meine Zuhörer, tötet kunstvoll und unauffällig. Ich inszeniere ein Stilleben: Rudolf in halbsitzender Position, seine erstarrte Hand leicht geöffnet, im Glas neben dem Bett Cognac, daneben die Geliebte, ausgestreckt auf dem Bett, die offenen Haare über der Schulter, eine Rose in den gefalteten Händen. Zwei Schüsse zerfetzen die Stille. Zurück bleiben die Liebenden, die Schädel geborsten, der Revolver in der kalten Hand meines Sohnes.
Es ist getan.
Der Wiedergänger hat seine Unschuld verloren.
Graf Hoyos, Rudolfs Jagdgefährte, überbrachte die traurige Nachricht, kam mit der Todesmeldung geradewegs in meine Griechischlektion geplatzt. Mit der Disziplin und Gefasstheit, die einer
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