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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wollte mich nicht schuldig fühlen und zügelte meinen Zorn und die Enttäuschung, mich in Ludwig geirrt zu haben.
    Andrássy hingegen war außer sich vor Wut, als er von den Vorfällen hörte. Seit Monaten war ich ihm aus dem Weg gegangen, jedoch hatte er von den Geschehnissen in Bayern gehört. Bis nach Budapest waren die Gerüchte gewandert, und selbst der Kaiser hatte sich Gedanken über die unglückseligen Zustände in Bayern gemacht. Natürlich sah niemand am Hof einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in Bayern und meinen Besuchen dort. Allenfalls rief der unglückliche Tod meines Cousins die Gefahr des Wahnsinns, der wie ein Damoklesschwert über den Köpfen des europäischen Adels hing, ins Gedächtnis der Massen zurück.
    Das Leben jedoch tat das, was es immer tut. Es ging weiter. In Bayern herrschte nun Prinzregent Luitpold, weil der offizielle Nachfolger Ludwigs, dessen Bruder Otto, wegen Irrsinns nicht regierungsfähig war. Der Kaiser ging seinen Geschäften in Wien nach, was mir noch verabscheuungswürdiger erschien. Ich selbst reiste immer häufiger durch die Welt, und in den Pausen genoss ich die Jagdausritte in Gödöllö.
    Dort, in Gödöllö, suchte mich Andrássy im Sommer 1873 auf und offenbarte mir, was es mit meinen Kindern auf sich hatte.
     
    Gödöllö ließ mich der Welt entfliehen. In Wien fand die Weltausstellung statt, und nachdem in vielen Teilen der Stadt die Cholera ausgebrochen war (fragen Sie erst gar nicht, wie es dazu hatte kommen können), schien es mir ratsam zu sein, nach Ungarn zu reisen und mich auf meinem Landgut mit Zirkusleuten und Zigeunern zu umgeben, von ihnen die Künste des Dressurreitens und der Musik zu erlernen und mit von mir ausgewählten Aristokraten des Magyarenreiches auf die Jagd zu gehen. Im Sommer des vergangenen Jahres war des Kaisers Mutter endlich gestorben, was meinen Gemahl in tiefe Depression und Hilflosigkeit gestürzt hatte. Hatte ich anfangs noch gedacht, das Leben am Hofe würde sich durch das Dahinscheiden der heimlichen Kaiserin verbessern, so musste ich schnell einsehen, dass vieles beim Alten bleiben würde.
    Also ging ich auf Reisen.
    Flüchtete nach Gödöllö.
    Wo mich Andrássy in Begleitung eines Bauernjungen aufsuchte. Gyula trug seine Reituniform und wirkte erschöpft, als er den Salon betrat. Der Knabe an des Grafen Seite wirkte unruhig und fühlte sich sichtlich unwohl. Andrássy begrüßte mich standesgemäß, und als sich die Dienerschaft entfernt hatte, küssten wir uns freundschaftlich. Er war kein Freund großer Worte, und so kam er umgehend auf jene Dinge zu sprechen, die ihn bewegten. Andrássy, nunmehr Außenminister des Königreichs Ungarn und in dieser Funktion öfter in Wien als ich selbst, berichtete mir von der Weltausstellung und von den verzweifelten Bemühungen, die Cholera in den Griff zu bekommen. Bei der Erwähnung der Krankheit blitzte es in seinen Augen auf, und seine Mundwinkel zogen sich tadelnd nach unten. Während des Gespräches erwähnte er jedoch in keiner Weise, wer jener Bauernknabe in der zerschlissenen Kleidung war. Die ganze Zeit über hockte der Kleine mit dem zottigen Haarschopf neben dem Grafen in einem großen Sessel und blickte unruhig zwischen uns beiden hin und her. Dann, nachdem sich der Graf nach dem Befinden meiner Kinder erkundigt hatte, packte er den Knaben mit einer flinken Bewegung und schlitzte ihm mit einem Messer die Kehle auf. Die dunklen Augen des Kindes waren weit aufgerissen vor Unglauben angesichts dessen, was ihm gerade widerfahren war. Andrássy hingegen, die zappelnde Kreatur in seinen Armen haltend, warf mir einen kalten Blick zu. Dann begann er vom Blut des Jungen zu trinken, ohne den Blick von mir abzuwenden.
    Ich roch den süßen Saft und wollte mich zu ihm gesellen, doch wehrte er mich mit einer strengen Geste ab. Mich dürstete ebenfalls nach dem Lebenssaft, doch bezwang ich meine Gier. Den Grafen betrachtend, wie er sich an der Wunde des Kindes ergötzte, saß ich da und schwieg. Vielleicht ahnte in diesem Moment bereits ein Teil von mir, welche Bewandtnis es mit diesem Verhalten hatte.
    Ich ahnte, was schon bald durch die Worte Gyula Andrássys zur Gewissheit werden sollte. Dass wir uns vom Blut nähren, um zu überleben, und dass wir Kinder zeugen mussten, durch deren Blut wir unsere Schönheit behielten. Der Bauernjunge war des Grafen Lenden entsprungen, Frucht einer flüchtigen Vereinigung mit einer Magd während seiner Flucht vor den österreichischen Häschern

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