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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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zu tun, wonach es ihn in seinem tiefsten Inneren verlangte. Er setzte sich über all die Konventionen hinweg. Dafür, meine Zuhörer, bewunderte ich ihn. Dafür liebte ich ihn. Und deswegen beschloss ich, ihn zu meinem ersten Sohn zu machen – gerade so, wie Vathek mich zu seiner Tochter gemacht hatte. Er sollte mein Gefährte sein in den Jahren, die da kommen mochten.
    Doch, wie so oft in meinem Leben, entwickelten sich die Dinge anders, als ich es erwartet hatte.
    Während einer nächtlichen Wanderung entlang den Ufern des Starnberger Sees geschah es. Wir küssten uns zaghaft, und ich ließ mich dazu hinreißen, vom Blut meines Cousins zu kosten. Er wirkte überrascht und ein wenig verängstigt, jedoch überwog die Neugierde, sodass er sich ruhig meine Erklärung dieses absonderlichen Verhaltens anhörte. Ich erwähnte bereits, dass Ludwig anders war – doch haben Sie keine Vorstellung davon, wie anders er gewesen ist. Natürlich war er überrascht, zweifelsohne. Dennoch kostete es ihn kaum Mühe hinzunehmen, dass seine liebste Cousine eine Wiedergängerin geworden war. Es mag schwer fallen, sein Verhalten zu verstehen. Doch gab es für Ludwig viele Dinge, die den Augen gewöhnlicher Menschen verschlossen blieben. Er glaubte an Elfen, an Nixen und Flussgeister und die sagenhaften Geschöpfe, von denen Homer berichtete. Er war ein Schöngeist, für den die Natur eine Unzahl magischer Geschöpfe bereithielt. Viele schalten ihn deshalb einen Verrückten. Doch ist es wirklich Irrsinn, wenn man dem Verstand erlaubt, Dinge zu akzeptieren, deren man bisher nicht gewahr wurde? Zeugt es nicht vielmehr von einem offenen Geist, von Feinsinn und Intellekt? Für Ludwig war nichts von alledem widersinnig. Jedoch überraschte mich zutiefst, dass er mein Angebot ablehnte. Ich traf ihn am nächsten Tag in seiner Grotte. Tief im Berg verborgen hatte er sich dort eine Märchenwelt errichtet und pflegte in einem Boot inmitten prächtiger Schwäne und zu den Klängen Wagners auf den sanften Fluten dahinzutreiben. Er genoss die Einsamkeit und die Ruhe dort unten. Und er widersetzte sich mir. Er widerstand. Zum ersten Mal erblickte ich den Irrsinn in seinen Augen; diesen tränennassen Augen, die mich stumm anklagten. Er wolle kein Wiedergänger sein, schrie er mich an, und die umherstehenden Lakaien stierten dümmlich zu Boden. Glücklicherweise waren Ludwigs Untergebene derartige Extravaganzen gewöhnt, sodass sie diesem Gefühlsausbruch keine übermäßige Bedeutung beimaßen. Ludwig steigerte sich in Rage, schrie und tobte. Er beklagte, dass sich seine liebe Elisabeth in eine Medusa verwandelt habe. Er beschuldigte mich, die ich einst ein so liebliches Wesen besessen hätte, hart und unnahbar wie Stein geworden zu sein. Ich hätte meinen Abscheu gegen den Pöbel kultiviert und könne nirgendwo mehr Schönheit erkennen. Er behauptete, dass ich so geworden sei, weil man eine Wiedergängerin aus mir gemacht hatte.
    Nie wolle er so werden. Nie werde er mir aus freien Stücken folgen. Ich sei die Berghexe, vor der er sich als Kind immer gefürchtet habe.
    Den Anschuldigungen folgte ein tränenreiches Liebesbekenntnis. Er kniete vor mir auf der Erde und küsste den Saum meines Kleides, raufte sich die Haare und bat mich um Vergebung.
    Die Erkenntnis, dass ich einen Fehler gemacht hatte, schmeckte bitter. Weshalb hatte ich nur von seinem Blut getrunken? Natürlich, weil Du von seiner Schönheit betört warst, dummes Gör, schalt ich mich. Ich hatte eine unbändige Lust dazu verspürt. Ich besaß die Macht. Also hatte ich es getan. Andrássy würde erzürnt sein, wenn er davon erfuhr. Ich beschloss, ihm vorerst nichts von alledem zu berichten, und hoffte, dass Ida ebenso gut würde schweigen können.
    Nach diesem Intermezzo mit Ludwig verließ ich Bayern umgehend und reiste zurück nach Wien. In den kommenden Monaten plagte mich jedoch ein schlechtes Gewissen, und da die Briefe Ludwigs ausblieben, beschloss ich nach einiger Zeit, ihn erneut aufzusuchen (dies natürlich in der stillen Hoffnung, ihn vielleicht doch noch bekehren zu können). Gemeinsam mit Ida reiste ich von einem Schloss zum nächsten, jedoch bloß um festzustellen, dass mein Cousin nicht im Hause weilte. Es wurde mir schnell zur Gewissheit, dass Ludwig vor mir floh. Ida berichtete mir, dass er Spione über das Land verteilt habe, die ihm von meiner Ankunft berichteten und ihn so rechtzeitig abreisen ließen.
    Er wollte mich nicht sehen, mied den Kontakt. Gleichzeitig wurden

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