Nimue Alban 10 - Der Verrat
nicht mehr da ist. Das wird er nicht geschehen lassen! So wie er das sieht, hat er nur noch eine Möglichkeit, seine Seele zu erlösen: Er muss gute Taten vollbringen und so ausgleichen, dass er sich so viele Jahre lang, ebenso wie der Rest von uns, nur mit der praktischen Seite des Problems befasst hat, die Autorität von Mutter Ki r che aufrechtzuerhalten. Tot aber kann er keine guten Taten mehr vollbringen. Genau das wird ihn von einem offenen Bruch abhalten, weit mehr als alle Furcht vor der peinlichen Befragung oder den Strafen Schuelers. Er wird immer neue gute Gründe finden, sich mir nicht direkt entgegenzustellen, weil es ihm nun einmal obliegt, nach Kräften den Schaden zu mindern, den ich seines Erachtens anrichte. «
Rayno blickte seinen Vorgesetzten schweigend an. Au s nahmsweise hatte es sogar dem Adjutanten des Schueler-Ordens die Sprache verschlagen. Wieder lachte Clyntahn. Dieses Mal klang es deutlich natürlicher.
»Bedauerlicherweise ist Rhobair einer von denen, die ernstlich glauben, der Mensch habe auch ein besseres Ich. Er glaubt allen Ernstes, er könne gezielt an diese Seite im Me n schen appellieren. Er begreift einfach nicht, warum Gott dem Erzengel Schueler die Autorität verliehen hat, Mutter Kirche vorzuschreiben, wie ihre Kinder zu disziplinieren sind. Das liegt einfach daran, dass dank Shan-wei der Mensch nun einmal kein besseres Ich hat ! Zumindest jetzt nicht mehr. Gott und Langhorne haben es mit Rhobairs Ansatz der li e bevollen Sanftmut ja schon versucht! Sie haben den Me n schen angefleht, von sich aus das Richtige zu tun. Und wie hat die Menschheit es ihnen gedankt? Indem sie sich Shan-weis Verderbtheit hingegeben hat! Was, Rhobair glaubt, er sei größer als der Heilige Langhorne? Größer als Gott? Er glaubt, die Menschheit werde plötzlich doch ihr besseres Ich entdecken, das sie schon seit dem Tag der Schöpfung nicht gehabt hat, bloß weil er, der große Rhobair Duchairn, fest entschlossen ist, an diese bessere Seite zu appellieren?! «
Der Großinquisitor schürzte die Lippen, als wolle er auf den Boden spucken. Dann aber atmete er nur tief durch. Se i ne Nasenflügel bebten.
»Was auch immer Duchairn durch den Kopf gehen mag, er ist einfach unfähig zu begreifen, dass der Mensch den Willen Gottes nicht von sich aus freudig aufnehmen wird! Er wird Gottes Autorität nicht ohne die eiserne Rute der Diszi p lin hinnehmen! Immer und immer wieder haben die Me n schen deutlich gezeigt, dass sie nicht von sich aus das tun, was Gott von ihnen ersehnt. Man muss sie dazu bringen, es zu tun! Sie haben nicht genug Verstand, sie haben nicht die Willenskraft für Gottes Gebote! Ja, sie sind sogar zu b e schränkt, ihre eigene Dummheit zu erkennen, wenn wir ihnen Gottes Plan nicht unmissverständlich vor Augen fü h ren!
Genau aus diesem Grund begreift Rhobair auch nicht, welche Aufgabe die Inquisition eigentlich erfüllt und welche Pflichten damit einhergehen. Er begreift nicht, dass wir hier nur unsere gottgegebene Pflicht erfüllen! Er ist nicht bereit zuzugeben, dass das getan werden muss. Deswegen tut er so, als müsse es überhaupt nicht getan werden. Er ist bereit, uns dafür zu verurteilen, dass wir unsere Pflicht tun, solange er sich nur seine Hände dabei nicht schmutzig macht. Er glaubt allen Ernstes, wir würden mit unnötiger Härte vorgehen. Er glaubt, wir könnten auf diese eiserne Rute verzichten, wenn wir es denn nur wollten. Ja, aber genau das können wir eben nicht! Es sei denn, wir wären bereit, alles aufzugeben, wofür Mutter Kirche steht. Aber das ist in Ordnung so. Solange Duchairn nämlich glaubt, er habe hinter den Kulissen alles genug im Griff, um unsere Exzesse zu lindern, wird er auch dafür sorgen, dass das so bleibt. Er wird seiner Seele jeden nur erdenklichen Kompromiss abringen, um das zu erre i chen. Das, Wyllym, bedeutet, dass es fast unmöglich ist, ihn bis an den Punkt zu treiben, an dem er zu dem Schluss kommt, er habe nichts mehr zu verlieren und könne sich uns offen entgegenstellen. Immer und immer wieder wird er sich an seine Pflicht klammern, Gutes zu tun, um unser ›Böses‹ auszugleichen. «
Kurz wandte Rayno den Blick ab, schaute zum Himmel über Zion empor, der jetzt in das kühlere, hellere Blau des Herbstes übergegangen war. In den kunstvoll angelegten Gärten jenseits der Springbrunnen auf dem Platz der Märt y rer waren auch die letzte Blüten vergangen, und allmählich zeigte das Laub erste Herbstfarben. Nur allzu bald würde
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