Nimue Alban 10 - Der Verrat
weiteren Karren, beladen mit Sprengstoff, hatte man abfangen können, als er gerade durch das Tor der Werft von Tellesberg gerollt war. Nach dem Blutbad auf der Grauwyvern - Allee hatte sich ein besonders aufmerksamer Wachposten der Marines eigenmächtig zur Aufgabe g e macht, jede eintreffende Lieferung persönlich zu überprüfen, falls er den Kutscher des jeweiligen Fahrzeugs nicht persö n lich kannte. Dieses Vorgehen hatte die Hafenbehörden i m mens verärgert. Schließlich führte es zu Verwirrung und Verzögerungen vor den stets geschäftigen Lagerhallen, in denen rund um die Uhr Versorgungsgüter und andere Waren umgeschlagen wurden. Der Kompaniechef hatte daraufhin bereits einen Sergeanten ausgeschickt, der dem betreffenden Marineinfanteristen in schriftlicher Form die ausdrückliche Anweisung aushändigen sollte, umgehend damit aufzuhören. Glücklicherweise war besagter Sergeant noch nicht eing e troffen, als der übereifrige Wachposten ein Fahrzeug anhielt, das beinahe so groß war wie der Karren in der Grauwyvern-Allee. Bedauerlicherweise hatte der Kutscher des Wagens einen der Zünder – auf der Basis eines Steinschlosses – in Reichweite vom Kutschbock angebracht.
Die Explosion hatte weitere sechsundfünfzig Menschen in den Tod gerissen, den übereifrigen Wachposten eingeschlossen. Mehr als einhundert weitere Personen hatten teilweise entsetzliche Verletzungen davongetragen. Doch es wäre viel, viel schlimmer gewesen, wenn der Kutscher sein eigentl i ches Ziel erreicht und erst dort die Sprengladung gezündet hätte.
Innerhalb der nächsten zwölf Stunden hatten zwei weit e re, ähnliche Explosionen Tellesberg erschüttert. Glücklicherweise waren sie deutlich kleiner ausgefallen. Sie sorgten in der Bevölkerung allerdings für etwas, das Merlin entschi e den zu sehr nach Panik aussah. Über die Stadt hatte das Kriegsrecht verhängt werden müssen, der gesamte Kutsc h verkehr war vorerst eingestellt. Die Obrigkeit brauchte Zeit, um Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
Grimmig ging Merlin durch den Kopf, dass die Attentäter sehr gerissen vorgegangen waren: Sie hatten Tellesberg g e nau dort getroffen, wo die Stadt am empfindlichsten war. Nicht nur, dass sie es auf die führenden Köpfe der Regierung des Kaiserreichs abgesehen hatten – Beweis genug dafür war das, was Gray Harbor, Waignair und Nahrmahn widerfahren war. Nein, der Handelsverkehr war schlichtweg das wahre Lebenselixier dieser Stadt. Genau das verhieß ja schon das Stadtwappen: geviert mit Galeone und einem Frachtkarren. Das Knarren und Rumpeln der schweren Kutschen war z u gleich der Fluch, der über der Stadt lag, wie Grund für einen etwas eigentümlichen Stolz.
Nun jedoch riefen eben jene Karren echte Angst hervor, nicht etwa Bürgerstolz. Wer konnte schon sagen, welcher Karren in Wahrheit eine weitere Bombe war, die unaufhal t sam ihr Ziel ansteuerte?
Cayleb und Sharleyan hatten keine andere Möglichkeit gesehen, als sämtlichen Güterverkehr in der Stadt in einer bislang beispiellosen Weise zu überwachen. Kein Siche r heitssystem konnte jemals wirklich perfekt sein. Doch das Kaiserpaar hatte sich sofort der Aufgabe gewidmet, Gene h migungen und Lizenzen auszustellen, die jeder Spediteur stets bei sich zu führen und auf Aufforderung vorzuweisen hatte. Zudem musste jede Ladung nun umfassend dokume n tiert werden, mit einem vollständigen Ladeschein, der übe r prüft wurde, bevor ein Transport in die Hafengegend einfa h ren oder sich einer Kathedrale, einer Kirche oder einem ö f fentlichen Gebäude nähern durfte.
Glücklicherweise wurde ein Großteil des Frachtgutes in der Stadt durch professionelle Speditionen befördert, die es allesamt gewohnt waren, zweimal im Jahr überprüft zu we r den. Daher kannten sie den Papierkram und waren darin g e übt. Sie kamen mit den neuen Regelungen ungleich besser zurecht, als jemand wie Clyntahn vermutlich erwartet hätte. Bereits zwei Tage nach dem ersten Anschlag herrschte in der Stadt wenigstens wieder ein gewisses Maß an Frachtverkehr. Für die kleineren, unabhängigen Rollkutscher, bei denen offizielle Überprüfungen bislang nicht stattgefunden hatten, sah die Lage natürlich ein wenig anders aus: Einige erlitten finanzielle Einbußen, weil sie sich nun um Unterlagen und Lizenzen bemühen mussten, die früher nie erforderlich g e wesen waren. Baron Ironhill aber war bewusst, welche Hä r ten sich dadurch für die unabhängigen Unternehmen erg a ben. Er verstand auch, inwieweit
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