Nimue Alban 10 - Der Verrat
– tatsächlich gelingen, all die benötigten Männer aufzutreiben. Aber darüber hinaus mus s ten ja auch noch die Manufakturen bedacht werden, die s o wohl die Mittel zur Kriegsführung bereitstellten als auch die Waren, mit denen die stetig anwachsende Wirtschaft des Reiches am Leben gehalten wurde. Und auch die zahllosen Farmen, dank derer die Untertanen des Reiches genug zu Essen hatten, brauchten Männer.
Momentan sah es so aus, als gelinge der Navy gerade noch so eben, genügend Männer anzuwerben. Doch ein wachsender Prozentsatz der Matrosen stammte mittlerweile aus Emerald oder Chisholm. Selbst unter denjenigen, die aus dem Alten Königreich Charis stammten, sank der Anteil e r fahrener Seefahrer beträchtlich. Nach allem, was Aplyn-Ahrmahk bislang gesehen hatte, waren auch die neuen Leute durchaus brauchbar. Aber sie waren eben nicht mehr so gut ausgebildet und noch nicht genug an das harte Leben auf See gewöhnt, wie es bislang bei der Flotte nun einmal Tradition gewesen war. Und selbst mit allen Neuzugängen fehlten der Destiny immer noch dreiundvierzig Männer zur offiziellen Besatzungsstärke von exakt vierhundert Mann.
Na ja , dachte der Ensign und schaute zu, wie das Kan o nenrohr erneut emporgewuchtet wurde, wahrscheinlich ist es geradezu ein Luxusproblem, wenn man zu viele Schiffe und zu wenig erfahrene Matrosen hat. Andersherum wär ’ s schlimmer!
Sir Domynyk Staynair saß auf der Fensterbank, einen Arm auf die gepolsterte Rückenlehne gelegt. Seinen Bei n stumpf hatte er ausgestreckt; sein Holzbein lag auf einem kleinen Hocker vor ihm. Es war beinahe Zeit für den Wac h wechsel. Das Oberlicht der Kabine stand offen, sodass die Geräusche von King ’ s Harbour den High Admiral ebenso erreichten wie die deutlich leiseren Stimmen des Wachoff i ziers und dessen Quartermeisters. Im Augenblick sprachen die beiden über die Einträge im Logbuch von HMS Destr o yer. Immer und immer wieder übertönten die Schreie von Möwen und Pfiffe von Seewyvern, was die beiden sagten. Sonnenlicht fiel durch die Seiten- und Heckfenster der K a bine. Es brach sich auf den Wellen und zauberte bizarre Muster an die Kabinenwände. Es spiegelte sich auf Büche r regalen und Anrichte, auf Tischplatte und -beinen, alle auf Hochglanz poliert. Es fing sich in den Kristallkaraffen und malte Regenbogen an die Wände und auf die Böden, wann immer die Galeone leicht dümpelte. Es tauchte die Porträts des Kaiserpaars ebenso in ein bizarres Farbenspiel wie die dicken Teppiche, mit denen die Kabine ausgelegt war. Ka i serin Sharleyan hatte Sir Domynyk diese Teppiche g e schenkt. Die schweren Farben passten nicht ganz zu den deutlich fröhlicheren Farbtönen der Polster auf Rock Points Sesseln. Der Tisch in der Mitte der Kabine bog sich fast u n ter Karten, Stechzirkeln und Kompassen. An einem deutlich kleineren Schreibtisch daneben saß Zhastrow Tymkyn, Sta y nairs neuer Flaggsekretär. Baron Rock Point hörte das Kra t zen des Stiftes, mit dem der Sekretär die letzte Besprechung des High Admirals protokollierte.
Die Kabinentür öffnete sich, und Rock Points sogar noch frischerer Flaggleutnant führte einen weiteren Offizier herein.
Vor weniger als zwei Fünftagen hatte Lieutenant Haa r lahm Mahzyngail Lieutenant Erayksyns Posten überno m men. Noch wirkte er an Bord eines charisianischen Krieg s schiffs fehl am Platze. Nicht etwa, weil es ihm an Befäh i gung mangelte, sondern allein weil seine blonden Haare, seine blauen Augen und sein unverkennbarer Chisholm-Akzent hier im Alten Königreich Charis immer noch einen gewissen Neuigkeitswert besaßen. Das aber gab sich mit jedem Tag, der verstrich. Schließlich traten mehr und mehr Chisholmianer in den Dienst der Flotte. Das war allerdings überraschend: Angesichts des traditionell hohen Ansehens der Royal Army in Chisholm hatte Rock Point erwartet, dass jeder abenteuerlustige junge Bursche jener Insel es doch e i gentlich auf eine Karriere beim Heer angelegt hätte und nicht bei der Navy. Doch es war anders gekommen. Deswegen ha t te sich Rock Point erst kürzlich einen nur halb scherzhaft g e meinten Tadel von Herzog Eastshare, dem Oberkommandi e renden der Imperial Army, eingefangen. Die Navy, hatte der gesagt, plündere seine private Truppenreserve.
Hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass wir den L o yalisten auf See jedes Mal gehörig in den Hintern getreten haben, wann immer wir die Klingen kreuzen mussten, dachte Staynair. Außer, korrigierte er sich sofort
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