Nimue Alban 10 - Der Verrat
Antwort. Dann wurden die ersten Holzlatten entfernt, und gleißende Morgensonne strömte in den höhlenartigen, stinkenden Frachtraum.
»Maul halten, Abschaum! «, brüllte jemand. »Und wenn ihr wisst, was gut für euch ist, dann bleibt ’ s Maul zu! «
»Wieso? «, schoss eine charisianische Stimme spöttisch zurück. »Was willst du denn machen? Uns beim Großinqu i sitor verpetzen? «
Schallendes Gelächter erfüllte jetzt den ganzen Laderaum. Manthyr brach fast das Herz vor Stolz auf seine Männer und vor Trauer, weil keiner von ihnen das überleben würde, was sie in allernächster Zukunft erwartete.
»Das findest du wohl komisch, ja? «, übertönte die fa u chende Stimme des Wärters das Lachen. »Wir werden ja sehen, wie komisch du das nächsten Monat findest! «
Manthyr blickte sich um. Als nach und nach immer mehr Holzplanken zur Seite gewuchtet wurden, musste er dabei zum Schutz die Augen zusammenkneifen. Neben ihm lag Naiklos Vahlain und blinzelte kraftlos. Es gefiel Manthyr überhaupt nicht, wie eingefallen die Wangen seines Kamme r dieners waren und wie hohläugig er dreinblickte. Vahlain war zehn Jahre älter als er. Von Anfang an war der Diener nicht so abgehärtet gewesen wie sein Dienstherr, der schließlich ein ganzes Leben lang zur See gefahren war. Aber niemand besaß mehr Mut und Entschlossenheit als Vahlain. Jetzt allerdings versagte ihm der Körper einfach den Dienst.
Als immer mehr Licht in ihr stinkendes Gefängnis fiel, erkannte Manthyr hinter Vahlain noch andere Gestalten. Alle waren sie so ausgemergelt wie sein Kammerdiener. Wie die Vogelscheuchen, dachte der Admiral. Viele von ihnen lagen im eigenen Unrat. Ruhr und andere Darmkrankheiten forde r ten ihren Tribut. Mit grimmiger Gewissheit wusste Manthyr, dass einige von denen, die hier reglos auf den Planken lagen, sich nie wieder bewegen würden.
Eigentlich erschien es ihm fast wie ein Wunder, dass überhaupt noch so viele am Leben waren. Die sechs Fünft a ge, seit sie Gorath verlassen hatten, waren die schlimmste, grausamste, niederschmetterndste Zeit seines ganzen Lebens gewesen. Für einen Seefahrer aus Charis hieß das eine ganze Menge. Doch ganz egal, was Landratten meinten: die See war nie grausam. Ihr waren die Menschen schlichtweg gleichgültig. Um grausam zu sein, bedurfte es des Me n schen, eines Menschen, der gezielt und bewusst Grausa m keiten verübte. Dabei war es bedeutungslos, ob dieser Mensch behauptete, im Namen Gottes oder im Namen von Shan-wei persönlich zu handeln. Von Bedeutung war nur, dass der Machthunger und die Verderbtheit nach und nach all das auffraßen, was ihn vielleicht einst wirklich zum Me n schen gemacht hatte.
Nach Twyngyth war es ein wenig besser geworden. So recht wusste Manthyr nicht, weswegen. Mittlerweile verm u tete er, Pater Myrtan habe etwas damit zu tun. Gut, der blo n de junge Oberpriester hing seinem Glauben wohl ebenso inbrünstig an wie Vyktyr Tahrlsahn. Zweifellos würde auch Pater Myrtan keinen Moment lang zaudern, bevor er einen Ketzer der peinlichen Befragung unterzöge oder an ihm die Strafen Schuelers vollziehen ließe. Tahrlsahn aber würde dabei echte Freude empfinden, während Myrtan einfach nur das täte, was sein Glaube ihm nun einmal abverlangte. Manthyr war sich nicht sicher, wen er schlimmer fand, den Sadisten oder den blinden Glaubenseiferer. Aber wenigstens ergötzte sich Pater Myrtan nicht an jener kleingeistigen Bo s haftigkeit und Brutalität, die innerhalb der ersten anderthalb Fünftage dieses Albtraums von Gefangenentransport fast ein Dutzend von Manthyrs Männern das Leben gekostet hatte.
Was bringt das Grübeln!, dachte der Admiral. Einzig e i nes zählt: Selbst dieses Arschloch Tahrlsahn hat letztendlich begriffen, dass keiner von uns es nach Zion schafft, wenn er so weitermacht. Eigentlich schade, dass ihm das klar gewo r den ist! Ich hätte ihm wirklich gegönnt, Clyntahn persönlich erklären zu müssen, wie er es geschafft hat, ihm, dem Obe r arschloch der Inquisition, auf der Überfahrt all die schönen Ketzer wegsterben zu lassen! Na, und dann hätte Clyntahn ihn einfach unseren Platz einnehmen lassen!
Einen oder zwei Momente lang erheiterte Manthyr die Vorstellung, Tahrlsahn bekäme es mit seiner eigenen Inqu i sition zu tun. Dann aber schob er den Gedanken beiseite. Ob Tahrlsahn sich nun in diesem Leben für seine Taten veran t worten musste oder erst im nächsten, war ja eigentlich egal. Früher oder später würde er für alles, was er getan
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