Nimue Alban 10 - Der Verrat
deutlich ernster, als sie sonst mit ihrem königlichen Gemahl zu sprechen pflegte. »Und ich wünschte wirklich, du würdest dich in dieser Hinsicht ein wenig zügeln. Vor a l lem «, über den Tisch hinweg blickte sie ihm geradewegs in die Augen, »heutzutage! «
Zhames verzog das Gesicht. Doch er protestierte auch nicht – ebenfalls ein Zeichen der Zeit. Auch die entfernte Verwandtschaft mit dem Erzbischof von Chiang-wu hatte bei Zhames nicht zu Illusionen darüber geführt, was im V i kariat eigentlich vor sich ging. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er ernstlich Schwierigkeiten gehabt sich vorzustellen, dass die Ereignisse dort noch im Sinne Gottes waren. Doch er war stets weise genug gewesen, sich aus Angelegenheiten herauszuhalten, die ihn nicht das Geringste angingen.
Das hatte sich natürlich schlagartig geändert, als unve r mittelt die beiden überlebenden Kinder des Vetters seiner Gemahlin bei Zhames vor der Tür gestanden hatten. Jetzt steckte der König bis zum Hals in den Angelegenheiten des Tempels, ob er wollte oder nicht.
Seinerzeit war ihm Hektars Bitte, seiner Tochter und seinem Jüngsten Zuflucht zu gewähren, als Gewinn erschienen. Nichts als Vorteile, keinerlei Nachteile. Zum einen hatte Hektar in seinem Schreiben für die Gastfreundschaft des Königs sehr attraktive Subventionen in Aussicht gestellt. Der Tempel hatte zudem den Prinzen gerade zum obersten R e cken in seinem Kampf gegen die charisianischen Ketzer e r hoben. Somit ergab sich für Zhames zugleich die Gelege n heit, seine Beziehung zu dem verwünschten erzbischöflichen Verwandten, der nichts für ihn tat, ein wenig zu festigen. Warum denn auch angesichts der Vorfälle in Ferayd noch auf die Beziehungen zu Charis Rücksicht nehmen! Schlec h ter konnten die nicht mehr werden. Sollte die Sache für He k tor schlimm ausgehen, hätte Zhames auf diese Weise den rechtmäßigen Herrscher von Corisande unmittelbar in seiner Nähe und konnte so in jeder Hinsicht Einfluss auf ihn aus ü ben. Und das Beste von allem: Zhames brauchte keinerlei Verantwortung dafür zu übernehmen, die hochwohlgebor e nen Flüchtlinge nach Talkyra zu schaffen. Er brauchte ihnen lediglich akzeptable Gemächer zur Verfügung zu stellen (soweit sich das in seinem ›Palast‹, der eigentlich nur eine altmodische Festung war, überhaupt bewerkstelligen ließ). Letzteres galt nur für den Fall, dass sie es denn überhaupt bis hierher schafften.
Dann war es Hektor gelungen, den Krieg mit Charis ta t sächlich zu verlieren. Und einem Attentat zum Opfer zu fallen!
Damit hatte sich Zhames plötzlich in einer gänzlich anderen Situation wiedergefunden. Einerseits sah er sich gezwungen, Prinz Daivyns Regentschaftsrat in Corisande anzue r kennen – oder sich zumindest mit ihm abzufinden. Dieser Rat aber hatte einen Friedensvertrag mit Cayleb und Sharleyan von Charis unterzeichnet und schwor obendrein hoch und heilig, ihn auch in Ehren zu halten! Vikar Zahmsyn Trynair, Kanzler von Mutter Kirche, hatte unmissverstän d lich dargelegt, wie man in Zion zu der Rechtmäßigkeit di e ses Regentschaftsrats stand. Doch zumindest hatte Trynair begriffen, dass Zhames in seiner Position nun einmal gewi s sen, dem Pragmatismus geschuldeten Beschränkungen unte r lag. Deswegen hatte er dem König auch nicht offen gedroht, weil er nach wie vor Beziehungen zu dem geächteten Rat unterhielt. Andererseits hatte der Großinquisitor Vikar Zhaspahr Clyntahn Zhames ebenso deutlich erklärt, er solle es ja nicht wagen, den Regentschaftsrat offiziell anzuerke n nen. Daher musste Zhames nun alle nur erdenklichen Ve r renkungen vollführen, um in seiner Korrespondenz mit Cor i sande angemessene Formulierungen zu verwenden. Gleic h zeitig jedoch hatten ihn sowohl Vikar Zahmsyn wie auch Vikar Zhaspahr wissen lassen – dieses Mal in ihrer Eigenschaft als Ritter der Tempel-Lande, dass es ihnen sehr recht wäre, wenn Zhames auch weiterhin den jungen Daivyn in seiner Obhut behielte … und zwar bis auf Weiteres.
Immer und immer wieder fragte sich Zhames, warum den beiden das so wichtig war. Gewiss wäre der Junge deutlich sicherer, wenn er sich in unmittelbarer Obhut des Tempels in Zion befände, wo kein charisianischer Attentäter ihn jemals erreichen könnte. Wenn der Tempel die Absicht hatte, D a ivyn eines Tages wieder auf den Thron seines Vaters zu h e ben, wäre es denn dann nicht viel sinnvoller dafür zu sorgen, dass er bereits von frühester Jugend an in Gottes Stadt en t sprechend
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