Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
nicht dazu bewegen können, jetzt brav kehrtzumachen und nach Hause zurückzukehren, solange ihr noch mehr oder minder unverletzt seid.
.XI.
North Bedard Bay,
Siddar-Stadt,
Republik Siddarmark
Am Hafen war es kühl. Die Wolken verhießen für den Nachmittag Regen, und der Wind wehte frisch über die blaue See im Hafenbecken hinweg. Die Flut kam herein. Wellen mit weißschäumenden Kronen brachen sich höher und höher an den Pfählen massiver Piers. Mit endloser Geduld brandeten sie gegen den Hafendamm. An den Piers und Kais drängten sich charisianische Transport-Galeonen. Von seinem Standpunkt am Kai aus schaute Merlin Athrawes zu, wie endlose Reihen kaiserlicher Soldaten Dutzende Stellings hinabstapften: schwere Tornister auf dem Rücken, das Gewehr über der Schulter.
Hunderte von Siddarmarkianern waren zum Hafen gekommen, um die Männer aus Charis willkommen zu heißen. Merlin hörte sie jubeln und schaute zu, wie sie kleine charisianische Fahnen schwenkten, die auf geheimnisvolle Weise plötzlich überall in der Stadt aufgetaucht waren. Die Soldaten waren zu diszipliniert, um aus dem Glied zu treten. Doch ihre Schritte schienen mit einem Mal ein wenig beschwingter, und mehr als einem von ihnen gelang es, mit der einen oder anderen attraktiven, jungen Frau in der Menschenmenge Blickkontakt aufzunehmen. Die Männer hatten sich redlich Mühe gegeben, ihre verschlissenen Uniformen nach dem langen Marsch von der Grenzwehr bis zur Ramsgate Bay nach besten Kräften auszubessern, und nun knallten die Absätze ihrer Stiefel rhythmisch und kräftig auf hauptstädtisches Kopfsteinpflaster.
Noch heute werden diese Männer ihre Waffen gegen neuere Modelle austauschen, dachte Merlin und schaute den Infanteristen hinterher, die von seiner Anwesenheit nichts ahnten. Und gleich darauf gehen sie erneut auf die Reise, dieses Mal an Bord großer Kähne – geschleppt von einem Drachen-Doppelgespann. Schon jetzt haben sie Vorrangfreigabe bei jeder einzelnen Schleuse, von hier bis zu ihrem Zielort … dem Ort, an dem dann die Kämpfe stattfinden.
Am Tag würden sie im Durchschnitt gute fünfzig Meilen zurücklegen … und trotzdem standen die Chancen nicht sonderlich gut, dass die Männer rechtzeitig einträfen.
Merlin verschränkte die Arme vor der Brust. Wie stets stand er ganz für sich allein: Sein Ruf als Seijin schien ihn wie eine Art undurchdringlicher Schutzschirm zu umhüllen, sodass ihm selbst inmitten einer Menschenmenge ein gewisses Maß an Privatsphäre beschieden war. Niemand wollte den furchterregenden Seijin Merlin bedrängen. Hin und wieder war das natürlich recht nützlich. Doch im Augenblick konnte Merlin es nicht so recht genießen. Ihm blieb so zu viel Spielraum für eigene Gedanken.
Düstere Gedanken.
Der einzige Hoffnungsschimmer am Horizont hieß Hauwerd Breygart, und selbst das galt nicht uneingeschränkt. Graf Hanths bunte Mischung aus Marineinfanteristen und Matrosen hatte es zwar eindeutig geschafft, die Vorhut der Dohlaraner bei ihrem Marsch Richtung Thesmar aufzuhalten. In seinen Depeschen hatte Hanth das Gefecht als die ›Schlacht von Thesmar‹ bezeichnet. Merlin war sich sicher, dass sich diese Bezeichnung durchsetzen würde, auch wenn das Gefecht in Wahrheit meilenweit von der Stadt entfernt stattgefunden hatte. Die Geschehnisse bei dieser Schlacht hatten die Dohlaraner völlig überrascht – und entsetzt: Fast achttausend Mann waren tot oder verwundet, und achtzehn Zwölfpfünder-Geschütze hatten sie auch noch verloren. Insgesamt waren das zwanzig Prozent von Sir Fahstyr Rychtyrs ursprünglicher Schlachtaufstellung. Noch verheerender wirkte sich die Schlacht auf das Selbstbewusstsein der Dohlaraner aus.
Bedauerlicherweise hatte Graf Hanth hier mitnichten einen entscheidenden Sieg errungen. Baron Traylmyn war nicht in Panik ausgebrochen. Einige seiner Regimentskommandeure hatten zweifellos unmittelbar davorgestanden, voller Entsetzen alles stehen und liegen zu lassen, als die ersten Berichte beim Hauptverband eintrafen – zusammen mit den wenigen Überlebenden auf schweißnassen Pferden. Doch anders als diese Obersten und Majore hatte sich der Baron aus Merlins Sicht als geradezu unangenehm flexibel erwiesen: Traylmyn wusste zwar nicht genau, was geschehen war, aber er hatte rasch reagiert und dabei umfassendes Verständnis für operative und strategische Gegebenheiten gleichermaßen unter Beweis gestellt. Den Seridahn entlang ließ er sich bis nach Trevyr zurückfallen und um den
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