Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
selbst noch Kronprinz war. Ich vermute, dass Zhan sich deutlich mehr anstrengen müsste, um überhaupt ein paar Punkte zu erzielen, wenn die beiden jüngeren Burschen nicht dabei wären. Derlei Dinge hat Colonel Falkhan schon bei Cayleb weidlich geübt. Des Colonels Spieltechnik allerdings hat sich schlagartig geändert, als Cayleb vierzehn oder fünfzehn wurde.« Lächelnd verlor sich der Erzbischof kurz in Erinnerungen. »Zu dem Zeitpunkt hat Cayleb bemerkt, dass es ihm mit einem Mal viel schwerer gefallen ist, seine Gardisten im Spiel zu besiegen als früher. Nun ist Cayleb wahrlich nicht auf den Kopf gefallen. Deswegen hat er auch nicht lange gebraucht, um zu begreifen, dass ihn seine Mitspieler, als er noch jünger war, absichtlich haben gewinnen lassen. Sie haben das Spiel … ›geschoben‹, sagt man wohl. Von da an war Cayleb nur noch fester entschlossen, sie zu besiegen. Eigentlich keine schlechte Lektion für einen zukünftigen Monarchen, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich nicht«, bestätigte Irys nachdenklich. »Vor allem die Erkenntnis, dass man ihn hat gewinnen lassen, eben weil er ein Prinz ist. Wenn so ein Prinz älter wird, werden die Leute ein bisschen subtiler – oder zumindest manche von ihnen. Nur gibt es immer reichlich Speichellecker und Kriecher. Zu lernen, auf derlei Dinge zu achten, ist gewiss für jeden Regenten nützlich.«
»Eure Hoheit, das habe ich eigentlich nicht gemeint«, verbesserte Staynair sie sanft. Fragend blickte die Prinzessin von Corisande ihn an, und der Erzbischof zuckte mit den Schultern. »Erwachsene, die ein Kind wirklich lieben, sollten es hin und wieder gewinnen lassen. Das ist gut fürs Selbstvertrauen. So werden Kinder immer besser und lernen auch, mit Herausforderungen umzugehen. Es ist natürlich ganz wichtig, dass ein Kind nicht merkt , wenn die Erwachsenen bewusst verlieren. Das Gefühl, etwas erreicht zu haben, ist sehr wichtig. Gleichzeitig jedoch ist wichtig, dass das Kind vor einer echten Herausforderung steht, selbst wenn man es letztendlich doch gewinnen lässt. Das trifft in besonderem Maße auf jemanden zu, der ausersehen ist, eine Krone zu tragen. So jemand muss lernen, dass die, denen er am Herzen liegt, bereit sind, ihn zu besiegen. Nur so nämlich kann dieser Jemand den Unterschied zwischen zungenfertigen Kriechern und denjenigen begreifen, auf deren Ehrlichkeit er vertrauen kann. Das ist für einen jeden Menschen eine wichtige Lektion, Eure Hoheit, aber ganz besonders für einen zukünftigen Regenten. Nur so lernt er Ehrlichkeit zu schätzen und sie beizeiten von denen einzufordern, deren Ratschluss er vertraut. Und nur so lernt ein zukünftiger Regent zuzuhören.« Staynair schüttelte den Kopf. »Genau diese Lektion hat Lieutenant Falkhan seinem Kronprinzen Cayleb gelehrt, eine Lektion, die König- und Kaiserreich bis heute gute Dienste leistet.«
Während der Erklärung des Erzbischofs hatte Irys nachdenklich die Stirn gerunzelt. Nach einem langen Blick in Staynairs Gesicht nickte sie bedächtig.
»So hatte ich das noch gar nicht gesehen, Eure Eminenz«, räumte sie ein, und ein Schatten schien sich über ihre ausdrucksstarken Augen zu legen. »Ich wünschte, mein Vater hätte eine Gelegenheit gehabt, dieses Gespräch mit Euch zu führen, schon vor Jahren«, fuhr sie sehr leise fort. »Ich glaube … ich glaube, das hätte ihm gute Dienste erwiesen, was meinen Bruder Hektor betrifft.«
»Ja, vielleicht.«
Sanft nahm Staynair ihre rechte Hand und legte sie sich auf den linken Unterarm. So führte er sie zum Balkongeländer, und gemeinsam blickten sie auf die Stadt hinab.
»Ja, vielleicht«, wiederholte er, »vielleicht aber auch nicht.«
Er wandte den Kopf und betrachtete Irys’ Profil, während der auffrischende Wind die Banner entlang des Kirchenschiffs seiner Kathedrale knattern ließ. Es hörte sich an, als würde mit Peitschen geknallt.
»Ich kann natürlich nichts darüber aussagen, wie die Beziehung Eures Vaters zu Eurem Bruder war«, fuhr der Erzbischof fort. »Aber wenn ich mir Euch und Daivyn anschaue und an die Geschehnisse der jüngsten Zeit denke, lässt mich das eine deutlich bessere Meinung über Prinz Hektor haben als je zuvor.« Dieses Eingeständnis überraschte Irys so, dass sie merklich zusammenzuckte. Staynair lächelte. »Natürlich hege ich immer noch … gewisse Vorbehalte Eurem Vater als Regenten gegenüber – das werdet Ihr gewiss verstehen, Eure Hoheit. Aber er … nein, wahrscheinlich eher Eure Frau Mutter und
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