Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
nach Tellesberg gekommen war, um Seite an Seite mit dem noch bemerkenswert jungen König der Inquisition und der Hölle selbst die Stirn zu bieten. Zusammengenommen hatte das dazu geführt, dass alle Einwohner des Alten Königreichs Charis sie geradezu mit Feuereifer verehrten – Geistlichkeit, Bürgerschaft und Adel gleichermaßen.
Die beiden sind wirklich der Stoff, aus dem Mythen und Legenden entstehen. Schön, furchtlos, entschlossen, von ihren Untertanen geliebt … kein Wunder, dass so viele aus ihrem Volk bereit sind, gemeinsam mit ihren Regenten geradewegs durchs Feuer zu gehen, sich der Inquisition zu stellen und den Strafen Schuelers! Auch Vaters Untertanen haben ihn geliebt und verehrt, aber nicht in dieser Art und Weise! Sie haben ihn respektiert , sie haben ihm vertraut – zumindest in Corisande selbst. Aber sie haben ihn nie so geliebt, wie die Charisianer Cayleb und Sharleyan lieben. Egal, was die Inquisition verkündet: Dahinter steckt keine Hexerei. Das ist nicht auf den verderblichen Einfluss Shan-weis oder der anderen gefallenen Engel zurückzuführen. Das liegt einfach daran, wer sie sind – und was sie sind. Ich wünschte wirklich … ich wünschte, wenigstens ein Hauch jenes Zaubers würde auch mich berühren!
Überrascht von ihren eigenen Gedanken riss Irys die Augen auf. Sie beneidete das Kaiserpaar von Charis – sie beneidete sie um ihre Liebe und ihren unverkennbaren Mut, um die Tiefe ihres Glaubens, um die Treue ihrer Untertanen … und um die Gewissheit, das richtige Ziel zu verfolgen. Irys beneidete Cayleb und Sharleyan darum, dass die beiden so standhaft und unerschütterlich an allem festhielten, woran sie glaubten und was ihnen am Herzen lag. Vielleicht würde sich ja noch herausstellen, dass alles, was sie glaubten, falsch war. Vielleicht würden sie eines Tages begreifen müssen, dass sie in die Irre gegangen und doch Shan-wei gedient hatten. Aber jetzt lebten sie in einer von Inbrunst getragenen Gewissheit, die in einer Welt, die in den Abgrund der Verworrenheit gestürzt war, des Hasses und des Blutvergießens, einzigartig und, ja, beneidenswert war.
Kein Wunder, dass Irys für sich selbst einen Hauch jenes Zaubers ersehnte. Erstaunt begriff sie, was sämtliche Untertanen des Kaiserpaars an diese und das Reich band: der Ehrgeiz, sich ihrer Regenten in der Art und Weise würdig zu erweisen, wie sich Kaiser und Kaiserin ihrer Kronen würdig erwiesen hatten. Diese Erkenntnis traf Irys wie ein Feuerhauch – und in diesem Augenblick erkannte sie auch, wie verführerisch der Gedanke war. Sich endlich einfach an etwas – ganz egal was! – festhalten zu können, damit das eigene Leben wieder einen Sinn hatte! Endlich konnte man sich wieder sicher sein, konnte man sich wieder ehrenvoll fühlen inmitten von Verwirrung und Zweifeln. Wer sehnte sich denn nicht danach? Jeder musste sich doch wünschen, ebenso wie Cayleb Ahrmahk mit furchtloser Ehrlichkeit dem Großinquisitor persönlich ins Gesicht zu sagen: ›Hier stehe ich, ich kann nicht anders.‹
Schluss damit, Irys! , sagte sie sich selbst. Lass es! Ja, ich wünsche mir genau das. Aber ich sollte nicht vergessen, warum! Einfach zu verführerisch, zu stark ist dieser Wunsch! Pater Davys würde sagen, ich ließe mich von der unbestreitbaren Güte verführen, die Cayleb und Sharleyan immer noch haben. Ließe mich verführen wie sie von Shan-wei verführt wurden, ihr zu Diensten zu sein. Es ist nicht die Finsternis in unseren eigenen Herzen, durch die Shan-wei uns erobert. Es ist das Licht, das in uns strahlt – und dieses Licht missbraucht und pervertiert sie und wendet es letztendlich gegen uns.
»Ich hoffe, die Berichte über den Gesundheitszustand von Baron Green Mountain sind nicht korrekt, Eure Eminenz«, hörte sich die Prinzessin von Corisande selbst sagen. »Mit Bedauern muss ich zugeben, dass mein Vater über ihn nur sehr wenig Gutes zu sagen wusste. Aber selbst Vater hat eingestanden, dass es auf der ganzen Welt niemals einen fähigeren oder treueren Ersten Ratgeber gegeben hat.«
»Und damit hatte er ganz und gar recht. Besonders bedauerlich ist, dass sowohl Cayleb als auch Sharleyan jeweils ihren Ersten Ratgeber verloren haben. Aber mir scheint, in Sharleyans Fall ist das noch schlimmer. Natürlich hat sie ihn noch nicht ganz verloren. Aber nach dem Tod ihres Vaters hat Baron Green Mountain dessen Platz in vielerlei Hinsicht eingenommen.«
»Ja, das verstehe ich«, meinte Irys. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als
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