Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Wortlaut der Heiligen Schrift zu verstoßen. Selbst Mutter Kirche war sich dessen bewusst und erkannte es offen an: Es gab daher feste Bedingungen, unter denen ein Regent seine Sünden bekennen und Buße dafür tun konnte. Irys Daykyn wusste auch, dass sich schon jeder andere Regent zum einen oder anderen Zeitpunkt gezwungen gesehen hatte, zu fehlen und Buße dafür zu tun.
Was allerdings den persönlichen Glauben und den Gehorsam betraf, den der Mensch Gott schuldete, wies Maikel Staynair dieses Konzept rundweg zurück. Er war nicht bereit, bei seinem eigenen Glauben auch nur die geringsten Abstriche zuzulassen, und er weigerte sich, einen anderen dazu zu zwingen. Und das, so begriff Irys beinahe widerwillig, war das wahre Geheimnis seiner Macht: Nur deswegen gelang es dem Oberhaupt der Kirche von Charis, die Rechtgläubigen zu ›verführen‹. Aus genau diesem Grund respektierten selbst viele der Tempelgetreuen hier im Alten Königreich Charis ihn als einen wahren Sohn Gottes, wenn auch einen in so mancher Frage irregeleiteten.
Mittlerweile hatte Irys schon drei Messen in der Kathedrale beigewohnt – ohne Daivyn allerdings. Sie hatte Staynair predigen hören. Als sie ihm lauschte, während er auf der Kanzel stand, als sie die Freude in seinen Augen sah und in seiner Stimme hörte, erkannte sie eine Wahrheit, die sie schon seit einiger Zeit ohnehin vermutet hatte: Maikel Staynair war einfach der sanftmütigste, frömmste, mitfühlendste und liebevollste Mensch, den sie kannte. Vielleicht verrichtete das Oberhaupt der Kirche von Charis tatsächlich Shan-weis Werk in der Welt, wie die Tempelgetreuen meinten. Aber wenn dem so war, dann nicht, weil sich Maikel Staynair je wissentlich der Finsternis verschrieben hatte.
»Oh, Ihr könntet gewiss unter derart entsetzlichen Bedingungen leben, Eure Eminenz«, entgegnete Irys nun. »Ich persönlich jedoch fühle mich deutlich wohler im prahlerischen Luxus Eures derzeitigen Domizils. Ich denke, für Daivyn gilt das Gleiche – auch wenn ich mir wirklich nicht sicher sein kann, wie er darüber denkt. Schließlich habe ich so selten Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Er verbringt leider viel zu viel Zeit mit Haarahld Breygart und Prinz Zhan auf Eurem privaten Basketballfeld, als dass ihm noch der Sinn nach einem langen, tiefschürfenden Gespräch mit seiner langweiligen großen Schwester stünde. Das heißt, wenn er nicht zusammen mit Euch im Schwimmbad des Königlichen Palastes herumtollt. Oder wie verrückt auf dem Baseballfeld im Königin-Mairah-Hof hin und her rennt.«
»Das tut dem Jungen – Seiner Hoheit, meine ich natürlich! – einfach gut, Eure Hoheit.« Staynairs Lächeln wurde noch breiter. »Vergebt mir, wenn ich das so sage: Aber seit Eurem Exil hat jetzt Euer Bruder endlich wieder Gelegenheit, ein kleiner Junge zu sein, findet Ihr nicht? Soll er herumtollen! Oder seht Ihr das nicht so?«
»Doch«, bestätigte Irys leise. Aber dann riss sie sich sichtlich zusammen und neigte den Kopf zur Seite. In ihrem Blick lag jetzt zumindest die Spur einer Herausforderung. »Doch«, wiederholte sie, »und es ist seiner Meinung über Charis ganz gewiss nicht abträglich, dass er Baseball und Basketball spielen darf – ausgerechnet mit dem Jungen, der auf Platz zwei der Thronfolge von Charis steht, nicht wahr, Eure Eminenz?«
»Zweifellos nicht. Und ich will auch nicht behaupten, Ihre Majestäten nähmen das nicht zur Kenntnis. Nur, glaubt Ihr ernsthaft, ohne diese politische Komponente wäre es anders?«
Einen Moment lang blickte Irys dem Kirchenobersten fest in die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein«, gestand sie. »Ich glaube, sie hätten ganz genau das Gleiche getan. Daivyn genießt hier, wie ich gestehen muss, eine Freiheit, die er in Manchyr nie gehabt hätte.«
»Und doch wird auch hier sehr sorgsam über seine Unversehrtheit gewacht, Eure Hoheit.«
»Das ist wahr«, unterstrich sie. Unwillkürlich zuckten ihre Mundwinkel. »Drei Jungs, der älteste davon kaum vierzehn Jahre alt, die mit zwei vollständigen Mannschaften Marineinfanteristen und Kaiserlichen Gardisten in voller Uniform und vollständiger Panzerung Baseball spielen, hätte ich in Manchyr wohl nicht zu sehen bekommen! Außerdem ist es wirklich erstaunlich, wie gut Colonel Falkhan verlieren kann, nachdem er sich vorher zweifellos so viel Mühe gegeben hat, nach besten Kräften zu spielen.«
»Ach, wisst Ihr, Eure Hoheit, er war der Kommandant von Kaiser Caylebs Leibgarde, als Cayleb
Weitere Kostenlose Bücher