Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
zu unternehmen«, sein Tonfall verriet, dass er eigentlich ein deutlich heftigeres Wort als ›töricht‹ hatte verwenden wollen, »werden wir unser Bestes geben, wenigstens die Konsequenzen zu minimieren. Und das, Eure Eminenz, bedeutet, wir werden einen ausgebildeten Heiler dafür abstellen, Sie stets im Auge zu behalten. Im Augenblick steht uns aber nur ein einziger ausgebildeter Heiler zur Verfügung – genauer gesagt: eine ausgebildete Heilerin. Also werden Sie sich von nun an entweder ständig von Madame Gorjah begleiten lassen, oder Sie geben zu, dass keiner von Ihnen beiden hier oben das Geringste zu suchen hat, und ziehen sich umgehend wenigstens bis nach Green Cove zurück.«
Cahnyr öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern. Doch er überlegte es sich anders. Er erkannte die Unbeugsamkeit in Byrk Raimahns gewöhnlich so sanftmütigen Augen. Innerlich schäumte der Erzbischof vor Wut. Doch so ungern er sich das auch eingestand: Eigentlich hatte Raimahn recht. Seine beinahe verhungerte Gemeinde hatte mit Jubelrufen aufgenommen, dass ihr alter Erzbischof in seine Diözese nach Gletscherherz zurückgekehrt war – und das nicht nur, weil er Lebensmittel mitgebracht hatte. Sie jubelten, weil sie in ihm den lebenden Beweis dafür sahen, dass man sie nicht vergessen hatte. Das Eintreffen ihres Erzbischofs zeigte, dass der Reichsverweser und der Rest der Republik genau wussten, welchen Widrigkeiten sie trotzten. Jetzt wussten sie: Sie mussten nur lange genug durchhalten, dann käme Hilfe. Zugleich war Zhasyn Cahnyr der Dreh- und Angelpunkt aller reformistischen Hoffnungen in Gletscherherz: Er war der Erzbischof, den die ›Vierer-Gruppe‹ dafür geächtet hatte, sich offen gegen ihre Korruption ausgesprochen zu haben. Obwohl das Urteil über ihn gesprochen war und ihn die Strafen Schuelers erwarteten, sollte er der Inquisition in die Hände fallen, war er zurückgekehrt. Er wollte seine Gemeinde in ihrem Kampf darum anführen, Mutter Kirche wieder zu dem zu machen, was sie eigentlich sein sollte.
Niemand in Gletscherherz brauchte zu wissen, wie unwürdig sich Cahnyr all der Hoffnung, des Glaubens und des Vertrauens fühlte, das man ihm entgegenbrachte. Doch er selbst konnte sich nicht einreden, das Volk von Gletscherherz baue nicht auf ihn. Weil es aber seine Pflicht war, diesen Erwartungen gerecht zu werden, gab er dafür sein Bestes. Gott, so hoffte er, würde ihm einen Weg weisen, hierbei nicht zu scheitern. Allerdings durfte er nicht seine seelsorgerischen Pflichten vernachlässigen. Ihm blutete regelmäßig das Herz, wenn er Raimahns Nachrichten las. Immer wieder aufs Neue wurde ihm die entsetzliche Brutalität und Grausamkeit des Bruderzwists auf den hundert Meilen schmaler, vereister Straßen und noch unwegsamerer Bergpfade zwischen Brahdwyns Torheit und Fyrmahn’s Cove bewusst. Diesseits und jenseits der Grauwallberge gehörten die Menschen zu seiner Gemeinde: Diejenigen, die hier oben im Schnee den Tod fanden, und diejenigen, die hier oben im Schnee den Tod brachten … und dabei jedes Mal ein Stück ihrer eigenen Seele verloren.
Cahnyr hatte anderen gegenüber geschwiegen, was seine Motive für den Reisetermin ausgerechnet jetzt anging. Er hatte reisen müssen, denn seine Kräfte verließen ihn – rascher noch, als selbst Sahmantha das erkannte. Nur einen Fünftag später hätte er den beschwerlichen Aufstieg bis hierher nicht mehr geschafft. Ein Teil von ihm hätte nur zu gern auf Sahmanthas gutes Zureden – und ihre Drohungen – gehört, nicht weiter als bis Green Cove zu reisen oder sogar nach Tairys zurückzukehren. Der junge Raimahn dürfte mit seinen Vermutungen recht haben, was in seiner Diözese passierte, stürbe Cahnyr plötzlich. Es würde nicht nur die Kämpfer mutloser machen, die sich dem unablässigen Druck aus Hildermoss entgegenstellten, sondern auch jeden anderen in Gletscherherz. Aber Cahnyr war schon alt. Sollte ihn also wirklich in diesem Winter der Tod ereilen, wollte er nicht unter einem dicken Stapel gemütlicher Decken sterben, zurückgezogen im Palast des Erzbischofs in Tairys. Er wollte mitten unter den Menschen sein, die für ihre Familien, ihren Glauben und ihr Gottvertrauen kämpften.
Wieder fragte Cahnyr sich, ob seine Entschlossenheit vielleicht ein bizarrer Versuch war, Buße zu tun. Er allein war dem brutalen Mord an Samyl Wylsynns Reformistenkreis entronnen. Kämpfte er gegen Schuldgefühle an? Oder suchte er gar den Tod? Wollte er endlich von der Trauer
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