Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
von King’s Harbour,
Helen Island,
Altes Königreich Charis,
Kaiserreich Charis
Dr. Sahndrah Lywys betrat den Raum, den man vor tausend Jahren auf einem Planeten namens Terra als ›Labor‹ bezeichnet hätte. Auf Safehold hieß dieser Raum ›Studierzimmer‹, obwohl gemeinhin dabei an Bibliotheken und Lesesäle gedachte wurde. Dr. Lywys vermutete, dass ihr drastische Konsequenzen bevorstünden, sollte Zhaspahr Clyntahns Inquisition je erfahren, welchen Studien sich jemand wie sie hier widmete.
Na, Clyntahn und seine Agenten dürften schon jetzt eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, was wir hier in der Hochschule so treiben , sinnierte Lywys, während sie mit einer der Shan-wei-Kerzen, ebenfalls Ergebnis dieser Studien, die Lampen in einer Ecke des Raumes entzündete. Wenn nicht, dann liegt das zumindest nicht daran, dass ihnen niemand davon berichtet hätte! Was heißt: Wir alle sollten bei Langhorne hoffen, dass die ›Vierer-Gruppe‹ den gottverdammten Krieg wirklich verliert!
Sahndrah Lywys war Charisianerin reinsten Wassers. Sie setzte vollstes Vertrauen in ihren Kaiser, ihre Kaiserin und ihr Heimatland. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass Charis diesen Krieg nicht doch noch verlieren könnte. Bei diesem Gedanken schnitt Lywys ein Gesicht. Sie setzte den Zylinder der letzten Lampe wieder auf und rückte den dahinter angebrachten Reflektor zurecht. Eine solche Lampe war immer noch nicht so gut wie echtes Sonnenlicht. Aber das galt für alle Lichtquellen, die man in einem Raum aufstellen konnte. Dieses Studierzimmer im Königlichen Palast von Tellesberg war dabei schon sehr viel besser beleuchtet als Lywys’ Zimmer in der alten Königlichen Hochschule. Damals hatte sich diese nur selten Lampenöl in solcher Qualität leisten können: raffiniert aus erstklassigem Krakenöl. Dieses Öl brannte mit einer hellen, sauberen Flamme, und so waren die Lampen viel besser (und sehr viel angenehmer für Lywys’ Augen) als Talgkerzen oder die bisherigen, die mit dem deutlich schlechteren Öl betrieben waren. Zudem durfte die Forscherin so viel von dem Öl verwenden, wie sie nur wollte – ein beinahe schon sündiger Luxus nach so vielen Jahren, in denen man jede Zehntel-Mark zweimal hatte umdrehen müssen.
Ihr neues Studierzimmer war auch deutlich größer, viel besser ausgestattet … und sehr viel sicherer. Lywys wusste, dass Rahzhyr Mahklyn hin und her gerissen gewesen war, als ihm Kaiser Cayleb (damals noch König Cayleb) unmittelbar nach der Schlacht im Darcos-Sund angeboten hatte, mit der gesamten Hochschule hierher in den Palast umzuziehen. Hochschule und Reich hatte man stets strikt getrennt, obwohl der Name der Hochschule vielleicht etwas anderes erwarten ließ. Grund dafür war natürlich, dass der unstillbare Wissensdurst aller Hochschul-Mitarbeiter jedem konservativen Geistlichen schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, selbst vor der Kirchenspaltung. Seit die Kirche von Charis ihre Unabhängigkeit erklärt hatte, war es verständlicherweise noch viel schlimmer geworden. Genau das hatte ja auch die Brandstiftung gezeigt, der die alte Königliche Hochschule mitsamt Archiv zum Opfer gefallen war.
Schon acht Monate vor dem Brand hatte Cayleb Mahklyn immer und immer wieder bedrängt, in die größeren, sichereren und im Ganzen viel besseren Räumlichkeiten des Palastes umzuziehen. Nach dem Brand hatte der König aufgehört, Argumente vorzutragen: Er hatte den Umzug der Hochschule einfach angeordnet . Damit war Mahklyn keine andere Wahl geblieben, als sich zu fügen. Schon lange bevor der Brandstifter hatte herausfinden wollen, was sich mit einer einzigen offenen Laterne alles zerstören ließ, war Lywys voll und ganz für den Umzug gewesen. Seitdem hatte es nichts gegeben, was sie zu einem Umdenken bewogen hätte, im Gegenteil. Sie persönlich fühlte sich auf dem Gelände des Königlichen Palastes sicherer. Für ihre Studien, die ihr das Wichtigste überhaupt waren, erwiesen sich die Vorteile sogar als noch deutlich größer. Denn die frühere Finanzierung der Hochschule ließ sich mit der offenen Unterstützung durch die Krone überhaupt nicht vergleichen. Darüber hinaus unterstützte jetzt die Kirche von Charis die Forschungsvorhaben ohne Vorbehalte. Der Kirche war klar, welchen entscheidenden Beitrag zum Überleben von Kaiserreich und Kirche die Hochschule leistete. Mit einem Mal standen Lywys und ihre Kollegen nicht mehr unter dem Generalverdacht, sich an der Grenze zur Ketzerei zu
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