Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Safehold allgemein bekannt. Sowohl im Buch Bedard als auch im Buch Pasquale fanden sich auch ausführliche Warnungen, was den Umgang mit diesen Mineralien betraf. Aber ausdrücklich verboten war deren Einsatz nicht. Allerdings duldete Pasquale nur eine einzige Asbest-Form als Werkstoff, alle anderen Asbest-Arten waren mit dem Kirchenbann belegt: Chrysotil (Terras weißer Asbest). Auf das äußere Erscheinungsbild verwies auch der auf Safehold übliche Name: Chrysotil war strahlend weiß, ganz wie saubere Baumwolle. Merlin wusste nicht, warum Pasquale nicht auch dieses Mineral verboten hatte. Gewiss, Chrysotil war deutlich weniger gefährlich als alle anderen Asbest-Arten, vor allem wenn man Pasquales Anweisungen zum Umgang damit befolgte. Dennoch war es der Gesundheit alles andere als förderlich, diesen Fasern über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt zu sein. Merlins Meinung nach waren die ›Erzengel‹ felsenfest davon überzeugt gewesen, dank der Ächtungen der Jwo-jeng bestehe keinesfalls die Gefahr, es könnte auf Safehold zu einer Art Industrialisierung kommen. Denn Chrysotil war unbestreitbar nützlich: Auch auf Terra war es Jahrtausende lang in Gebrauch gewesen, selbst schon vor der Industriellen Revolution. Anscheinend hatten sich Langhorne und seine Anhänger mit dem Gedanken getröstet, eine prä-industrielle Gesellschaft könne von diesem Mineral ohnehin nur so wenig abbauen, dass davon kaum gesundheitliche Gefahren ausgingen. Das wenige Asbest, das zur Verfügung stünde, würde der Gesellschaft durchaus von Nutzen sein.
Doch egal, was man vor acht oder neun Jahrhunderten gedacht haben mochte: Im letzten Jahrhundert hatte man auf Safehold im Allgemeinen und in Charis im Besonderen mehr und mehr von diesem Material verwendet … insbesondere im letzten Jahrzehnt. Eine andere Wahl gab es ja auch gar nicht. Industrieanlagen wie Ehdwyrd Howsmyns Werke waren auf ein Material mit den Eigenschaften von Asbest schlichtweg angewiesen. Bislang gab es noch keine Möglichkeit, jene Art von Kunstfasern zu fertigen, die seinerzeit auf Terra das Asbest letztendlich abgelöst hatten. Entsprechend wurde mehr und mehr Felsenwolle gewonnen. So viel Howsmyn, die Krone und die Kirche von Charis auch unternahmen, um dafür zu sorgen, dass wenigstens die von Pasquale vorgegebenen Handhabungsvorschriften eingehalten wurden, kamen doch mehr und mehr Menschen mit diesem alles andere als ungefährlichen Werkstoff in Kontakt. Das war natürlich nicht das einzige Gesundheitsrisiko, das die Neuerer von Charis hinnehmen mussten: Weitere Beispiele waren das Quecksilber in den Zündhütchen oder die Transmissionswellen und offen liegenden Riemenantriebe, durch die Wasserkraft unmittelbar auf Maschinen übertragen wurde. Aber aus irgendeinem Grund machte sich Merlin um Asbest deutlich mehr Gedanken als um alles andere.
Das bedeutete jedoch nicht, dass Rahzwail und Saigyl hier nicht etwas sehr Bedeutsamem auf der Spur waren. Schließlich war Felsenwolle genau das gleiche Material, das auf Terra auch Charles de Bange für seine Liderung verwendet hatte – und de Bange war faktisch der Vater des Hinterladergeschützes.
»Haben Sie auch schon erste Versuche vorgenommen, Charles?«, fragte Rock Point nach.
»Nur an einem umgebauten Mahndrayn-Gewehr, Mein Lord. Bislang sieht es ganz danach aus, als würde eine Dichtung aus eingefetteter Felsenwolle genau das bewirken, worauf es uns ankommt – vorausgesetzt natürlich, der Druck auf die Schraube ist groß genug. Ich habe Dr. Mahklyn und Dr. Vyrnyr auch schon um Berechnungen gebeten, wie lang ein Verschlusspfropfen sein müsse und wie groß der Teil des Gewindes sein darf, den wir gefahrlos auslassen können. Dr. Mahklyn meint, zusammen mit Vyrnyr sollte er uns innerhalb der nächsten Fünftage zumindest eine grobe Abschätzung vorlegen können. In der Zwischenzeit wird sich Captain Saigyl mit Meister Howsmyn besprechen. Wir müssen ja erst noch herausfinden, ob sich hinreichend präzise gearbeitete Verschlüsse überhaupt fertigen lassen. Bis zu dieser Besprechung können wir auch noch nicht einschätzen, ob diese Verfahrensweise überhaupt praktikabel ist.«
Wieder nickte Rock Point. Hochdruckdynamik war auf Safehold ein gänzlich neues Forschungsgebiet. Aber die Arbeiten gingen rasch voran. Dahnel Vyrnyr von der Königlichen Hochschule arbeitete gerade daran, grundlegende Formeln zu finden, mit denen sich das Verhalten von Drücken und Gasen im Allgemeinen beschreiben ließe.
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