Nina, so gefällst Du mir
lange hinterher begriff sie es.
Es war die erste wirkliche Verliebtheit, die Nina in diesem Augenblick erlebte. Die blinde, rückhaltlose Verliebtheit einer unerfahrenen Siebzehnjährigen…
Die Gäste kamen, einer nach dem anderen, und begrüßten Gunnar.
Und dann erschienen drei Serviermädchen, die Cocktails und winzig kleine Appetit-Bissen auf Tabletts anboten. Die Jungen und Mädchen, die nur einfache Tanzereien kannten, auf denen es Würstchen und Kartoffelsalat und selbstgebackene Torten gab, kamen sich plötzlich erwachsen vor angesichts dieser Bewirtung. Daß der Cocktail in der Hauptsache aus Fruchtsäften bestand, tat der Feststimmung keinen Abbruch.
Direktor Espetun flüsterte dem Neffen etwas zu. Gunnar hob sein Glas und blickte über die große Schar der jungen Menschen hin.
„Ja, dann also Wohlsein und herzlich willkommen alle miteinander!“
Wie schön war seine Stimme!
Dann summte es von vielen leisen Unterhaltungen. Aber die Unterhaltungen wurden lauter; die kleinen Cocktailbrötchen verschwanden im Nu. Da lachte plötzlich einer auf,und dann lachte noch einer – und als im Nebenzimmer, wo ein großer Plattenspieler stand, die Musik einsetzte, da taten sie sich zu Paaren zusammen, die Jungen und Mädchen, die sich von der Schule und dem Sportplatz her kannten, und sie tanzten auf dem blanken Parkett in Espetuns riesigem Eßzimmer einen wiegenden Walzer.
Nina tanzte mit Gunnar. Er war kein geübter Tänzer, doch er hatte ein Gefühl für Rhythmus und eine Sicherheit, wie sie sich ein musikalischer Mensch erwirbt. Er sprach nicht viel, Nina noch weniger. Aber sie war erfüllt von einem Glücksgefühl, wie sie es bisher noch nie erfahren hatte.
Und die ganze Zeit klopfte ihr Herz auf eine neue, seltsame Art. Es tat weh, als der Walzer zu Ende war und Gunnar sie mit einer höflichen Verbeugung an Nils Samuelsen weitergab, der sie zu einem flotten Cha-Cha-Cha mit sich riß.
Nils war in der Schule zwei Klassen über ihr gewesen. Sie kannten sich seit endlosen Zeiten. Und Nils redete in dem altbekannten Jargon drauflos. Ninas Befangenheit verflog. Sie wurde wieder, wie sie sonst war – ein hübsches, schlichtes und offenes Mädchen, bei Freunden und Freundinnen beliebt, ein alltägliches junges Mädchen mit ein paar Sportprämien auf dem Bücherregal, einem guten Abgangszeugnis von der Realschule, ein paar Fotos von Filmstars an der Wand ihres Zimmers, einem Fahrrad im Keller und Slalom-Skiern auf dem hinteren Flur.
„Wie findest du denn den Ball?“ fragte Nils. „Vater sagt, so’n richtigen Ball habe er noch nicht mal erlebt. Das gab’s früher bei unseren Omas und Opas. Aber der Espetun, der weiß gar nicht, was er seinem Neffen alles Gutes antun soll!“
„Es scheint so“, sagte Nina. „Möchte mal wissen, wie er im Grunde ist, der Gunnar. meine ich. Beim Tanzen vorhin, da hat er nicht den Mund aufgemacht.“
„Das ist ja auch kein Pappenstiel, wenn man zwanzig Leute zu Besuch hat, die man nicht kennt, nicht? Mit der Zeit wirder schon auftauen. Ich weiß bloß, seine Mutter ist eine Schwester von Frau Espetun, und ‘nen Vater hat er nicht mehr. Nein, halt, Nina, lauf doch nicht so schnell weg! Wir wollen erst mal hören, was jetzt für ‘ne Platte kommt.“
Sie tanzten wieder, und der Ball ging weiter. In der Halle war eine Art Bar aufgebaut, wo man sich erfrischende Getränke und Zigaretten holen konnte.
Nina tanzte mit alten Kameraden von der Schule und vom Sportplatz, und die ganze Zeit klang es tief in ihrem Innern: „Dieses Mädchen hier ist deine Tischdame, Gunnar…“
Im Rauchsalon und im Gartenzimmer waren kleine Tische gedeckt, manche für zwei und manche für vier. Auf einer riesigen Tafel war ein prachtvolles Büfett aufgebaut; es gab warme und kalte Gerichte, es gab kleine knusprige Semmeln, und es gab süße Speisen und Kuchen.
Gunnar stand neben Nina, die unschlüssig über den riesigen Tisch hinblickte.
„Soll ich Ihnen helfen? Möchten Sie vielleicht hiermit anfangen? Ich glaube, es ist Krabbensalat!“
„Ja, tausend Dank“, sagte Nina. Das hätte sie auch gesagt, wenn Gunnar ihr vorgeschlagen hätte, mit kroßgebratenen Hummeln in Öl anzufangen.
Dann saßen sie an einem runden Tischchen in einer gemütlichen Ecke, und Nina war wieder so seltsam kurzatmig und wollte gern eine Unterhaltung anfangen. Aber es war so schwierig. Gunnar erschien viel erwachsener als all die Jungen, die sie kannte. Er war fast wie der Sohn dieses großen reichen Hauses
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