Nina, so gefällst Du mir
nicht wahr? Und eine Ehrenschuld muß man schnellstens bezahlen!“
Nina klopfte das Herz bis zum Hals. „Tausend Dank“, sagte sie leise. Sie mußte leise sprechen, fast vorsichtig, damit Espetun und vor allem Gunnar nicht merkten, daß ihre Stimme vor Freude bebte.
Das Auto brummte weiter, und Nina fand, die Frühlingssonne scheine doppelt so strahlend wie vorher. Ihr Herz klopfte in einem fort. Ihr war fast feierlich zumute. Sie fand es wunderbar und merkwürdig, in Espetuns Auto zu sitzen und in der Villa Rosenhöhe zu Mittag zu essen. Und hinterher – hinterher? Ihr Herz schlug so sehr, daß sie es zu hören glaubte.
Aber Gunnar saß schweigend da und lenkte seinen Wagen, und Ninas Augen hingen an seinem schmalen Nacken.
Sie wußte, dieser Junge bedeutete etwas für sie. Er bedeutete ihr schlechthin alles!
Und dabei war sie nur ein einziges Mal mit ihm zusammen gewesen.
„Wir haben einen Mittagsgast mitgebracht, Fanny!“ Espetun schob Nina vor sich durch die Tür ins große, helle Wohnzimmer.
„Ach, das ist ja Nina! Das ist aber nett!“ Frau Espetun war freundlich und gastfrei. Sie ließ noch ein Gedeck auflegen.
„Darf ich vielleicht eben zu Haus anläuten?“ fragte Nina. „Damit sie Bescheid wissen!“
„Natürlich! Zeige Nina, wo das Telefon ist, Gunnar.“ Gunnar nahm sie mit ins Herrenzimmer, sah nach, ob das Telefon nicht zum Schlafzimmer umgestellt war, und ließ sie allein. Nina läutete ihre Mutter an.
„Viel Vergnügen, mein Kind“, sagte Frau Löge. Und als sie den Hörer aufgelegt hatte, huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht: Ninas Stimme hatte so froh geklungen!
Und nun saß Nina in dem großen schönen Eßzimmer Gunnar gegenüber. So sah es hier also aus, wenn das Zimmer nicht für das Tanzen ausgeräumt war! Du liebe Zeit, welch großer Raum! Die Möbel waren aus schwerer, geschnitzter Eiche, die Stühle mit dunklem Leder bezogen. Ein Mädchen in schwarzem Kleid mit steifgestärkter Schürze und mit einem Häubchen auf dem Kopf trug das Essen auf.
Nina hütete sich zu erzählen, daß sie schon einmal zu Mittag gegessen hatte. Das wäre ja noch schöner, wenn sie es nicht noch ein zweites Mal schaffte – in solcher Umgebung und in solcher Gesellschaft!
Nina aß und lächelte liebenswürdig. Sie war lebhaft und antwortete munter auf Espetuns freundliche Fragen. Gunnar war sehr schweigsam. Wurde er gefragt, antwortete er einsilbig.
Weshalb interessiere ich mich nur so sehr für diesen Stockfisch? dachte Nina plötzlich. Und sie war innerlich wütend auf ihn.
Aber dann sah sie auf das ernsthafte, schmale Gesicht, und sie fühlte sich sofort wieder hilflos.
„Was machst du eigentlich, Nina?“ fragte Frau Espetun. „Du bist doch schon mit der Schule fertig, nicht wahr?“
„Ja, das hatte ich selber gedacht“, lächelte Nina. „Aber zum Herbst hole ich die Bücher wieder hervor.“
„Sieh mal einer an!“ sagte Espetun. „Willst du etwa das Abitur machen?“
„Zuerst wollte ich ja auf die Webschule gehen, aber jetzt möchte ich doch lieber das Abitur machen.“
„Und was willst du dann werden?“
„Das – das weiß ich noch nicht. Aber es kann bestimmt nichts schaden, wenn man das Abitur hat. Dann lerne ich doch auf alle Fälle noch mehr Sprachen.“ Endlich blickte Gunnar sie an.
„Interessieren Sie sich für Sprachen?“
„Ja, wahnsinnig! Und das bißchen, was wir in der Mittelschule gelernt haben, ist doch für die Katz.“
„Sagen Sie das nicht! Das Mittelschulpensum ist eine sehr gute Grundlage. Wollen Sie in den neusprachlichen Zweig?“
„Nein, in den altsprachlichen.“ Jetzt war ein wirkliches Interesse in Gunnars Blick zu spüren.
„Weshalb wollen Sie denn Latein lernen?“
„Nun ja, Latein ist doch schließlich die Grundlage für alle Sprachen.“
„Hast du das gehört, Gunnar?“ sagte Espetun. „Ja, dann mußt du dich an Gunnar halten, Nina. Er kann dir sicher helfen, wenn einmal Schwierigkeiten auftauchen.“
„Sicher“, sagte Gunnar und verstummte von neuem.
„Später möchte ich dann reisen“, sagte Nina. „Es mußherrlich sein, ein bißchen in die Welt hinauszukommen und sich umzuschauen.“
„Unbedingt“, sagte Espetun. „Nicht wahr, Gunnar? Weißt du, Nina, unser Junge will nämlich nächstes Jahr auch reisen, für unser Geschäft – nach Afrika und nach Sumatra. So ist es, wenn man in einer Fabrik für Gummischuhe arbeitet. Da kann es ganz zweckmäßig sein, wenn man einmal eine kleine Reise zu den
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