Nina, so gefällst Du mir
Und sag ihr, daß… daß ich große Lust hätte, die Brailleschrift zu lernen. Vielleicht könnte ich etwas für sie abschreiben, was es nicht in Blindenschrift gibt.“
Gunnar sah sie mit ernsten Augen an. „Wenn du wirklich meinst, was du da sagst, Nina, dann würdest du gesegnet werden, nicht nur von Katja, sondern von unzähligen Blinden.“
„Ja, ich meine es unbedingt, Gunnar. Aber jetzt mußt du deinen Brief fertig schreiben, und dann sprechen wir morgen weiter davon, wenn wir Ruhe haben. Und vielleicht kannst du mir dann das System mit der Brailleschrift zeigen.“
Nina drückte ihn ganz schnell einmal an sich und lief in die Küche hinunter.
„Dies ist zu gut, um wahr zu sein“, sagte Gunnar. Er räkelte sich faul in einem der bequemen Sessel im Wohnzimmer. Auf dem Sofa lag Zottel, satt und zufrieden, und niemand jagte ihn weg.
Es war wunderbar still im Haus. Niemand klingelte, niemand lief die Treppen hinauf und herunter, niemand verlangte Bedienung. Die „Autobusgäste“ waren wieder fort. Die drei Pflegekinder von Frau Andrews waren von der dankbaren Großmutter abgeholt worden, und die Dauergäste waren alle miteinander in Andrews Auto, einer Taxe und Gretes kleinem Grünen zum Bekkumer See gefahren. Und dort waren zwei Boote bestellt worden, die sie zum Schwalbenholm hinüberfuhren.
„Man stelle sich vor: in guten Sesseln im Wohnzimmer zu sitzen“, sagte Nina. „Und in einer winzigen Kasserolle für nur zwei Menschen zu kochen. Es ist nicht zu glauben.“
„Wenn jetzt unerwartete Gäste kommen, drehe ich ihnen den Hals um“, sagte Gunnar.
„Und ich helfe dir“, erklärte Nina bereitwillig. Sie hatten gemütlich zu zweien Mittag gegessen; jetzt hatten sie Kaffee getrunken. Aus dem Radio kam gedämpfte Musik, und alles atmete Frieden und Behaglichkeit.
„Du, Gunnar“, sagte Nina nach einem langen Schweigen. „Wie ist es nun? Willst du mir nicht die Brailleschrift zeigen?“
„Und wie gern!“
„Weißt du, alle Menschen müssen ein Hobby haben, und denk mal, wenn das nun meines werden könnte! Denk nur,was das für eine wunderbare Art ist, seine Freizeit auszufüllen, viel nützlicher als Stricken und Bridge spielen oder Briefmarkensammeln. Das heißt, wenn du meinst, daß ich es lernen kann.“
„Lernen kannst“, lächelte Gunnar. „Das System kann ich dir in drei Minuten erklären, und dann brauchst du einen Rahmen und einen Pfriem und einen Stoß Papier und das Alphabet. Und dann handelt es sich nur darum, daß du übst. Nach zwei, drei Tagen kannst du ganz bestimmt einen Brief schreiben. Okay, Nina! Ich lauf und hole die Sachen.“
Gunnar verschwand, und Nina blieb sitzen und lächelte vor sich hin.
Vor dem Haus bremste ein Auto. Nina ging ans Fenster.
Plötzlich schnellte sie hoch und lauschte. Was in aller Welt war das? Kamen etwa ausgerechnet heute Gaste? Und da schoß ihr das Herz in den Hals hinauf. Denn auf dem Hofplatz stand ein großer amerikanischer Wagen, den sie nur zu gut kannte. Und eben jetzt ging der Wagenschlag auf, und heraus stieg Direktor Johann Espetun.
Nina stand auf der Treppe und ihre Hand lag in Espetuns großer Faust.
„So, da bist du ja, Ninachen! Wie nett, dich wiederzusehen!“
„Gleichfalls, Herr Espetun! Sie sind nicht die Spur erstaunt, mich hier zu treffen?“
Espetun lächelte. „Aber nein! Ich wußte doch, daß du hier warst. Gunnars kleine Schwester hat es mir erzählt, als ich kürzlich in Trondheim war.“
„Ja, ich weiß, daß Sie dort gewesen sind. Lassen Sie den Koffer stehen, Herr Espetun, Gunnar kommt sofort. Er trägt ihn dann nach oben. Bleiben Sie oder…?“
„Wenn ihr ein Zimmer habt, möchte ich gern bis morgen bleiben, sonst kann ich natürlich auch nach Bekkum fahren und dort ins Hotel gehen.“
„Aber nicht doch! Wir haben Platz für Sie. Bitte, hier entlang – ich zeige es Ihnen. Das Haus ist heute leer. Alle Gäste sind auf einem Ausflug. Nur Gunnar und ich sind zu Hause.“
„Da habe ich ja mächtiges Glück“, sagte Espetun. „Ich bin nämlich gekommen, um mit Gunnar zu reden.“
„Das verstehe ich“, sagte Nina. Dann richtete sie den Blick auf Espetuns rundes, gutes, wohlwollendes Gesicht, ihre Augen waren hell und blank und die Stimme warm und ernst, als sie sagte: „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Herr Espetun.“
Sie waren in die Diele eingetreten. Jetzt hörte man rasche Schritte auf der Treppe.
„Es hat ein bißchen gedauert, Nina; denn weißt du, ich mußte erst… Ach du
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