Nina, so gefällst Du mir
schreibt.“ Dann las Nina.
„Lieber guter Gunnar!
Vielen herzlichen Dank für die Schokolade, die Du mir von ,Blaufall’ geschickt hast und vielen Dank für den Brief. Du kannst glauben, ich habe schön gelacht aber all das, was Du von den blöden Leuten auf ,Blaufall’ erzählst. Es ist wirklich fein, daß Du statt dessen nach Sirili gekommen bist. Grete und Nina würde ich nur zu gern kennenlernen.
Wir hatten Besuch. Und kannst Du raten, von wem? Ja, Onkel Espetun ist mit seinem feinen Auto hier gewesen. Wie großartig, daß Du das selbst fahren kannst! Mutti und ich haben einen Ausflug mit ihm gemacht, und das war wunderbar. Und weißt Du, was Onkel Johann mir versprochen hat? Sobald ich in der Blindenschule fertig bin und nach Haus komme, dann bekomme ich einen Führhund, einen fertig dressierten Schäferhund. Ich freue mich furchtbar darauf. Dann kann ich allein über die Straße gehen.
Und dann hat Onkel Johann mir etwas geschenkt, was ich beinahe nicht glauben kann. Eben bevor er abfuhr, steckte er mir ein Büchelchen in die Hand und sagte, es wäre ein Bankbuch. Und ich will Dir wortgetreu wiederholen, was er noch sagte: ,Für Deine Ausbildung, kleine Katja, nimmst du das Geld, das hier auf diesem Buch steht. Du sollst lernen können, was du möchtest.“
„Denk Dir, Gunnar! Ich besitze ein Bankbuch! Ein Bankbuch mit viel, viel Geld drin!
Onkel Johann ist das netteste, was ich kenne, ausgenommen Du und Mama und natürlich auch Papa.
Ich wünschte, Du könntest eben einmal nach Hause kommen, ehe Du nach Oslo fährst, um zu studieren. Aber es ist ja klar, daß Du in Deiner Arbeit bleiben mußt und soviel Geld wie möglich verdienen mußt.
Es ist herrlich, in den Ferien bei Mama zu Haus zu sein. Aber ich freue mich doch auch darauf, daß ich wieder in die Schule zurückkomme. Laß es Dir gut gehen, lieber Gunnar, und schreib bald an
Deine Katja“
Nina reichte Gunnar den Brief zurück. Ihre Augen waren voll von Tränen. „Du, wie rührend ist dein Onkel eigentlich!“
„Ja“, sagte Gunnar. Seine Stimme war ganz weich. Nina schluckte und lächelte durch Tränen. „Die kleine Katja“, sagte sie. Sie biß sich auf die Lippe und schluckte die Tränen hinunter. „Wie kommt es, daß sie erblindet ist, Gunnar? Ist sie blind geboren oder…?“
„Nein, durch einen Verkehrsunfall, als sie sieben Jahre alt war. Sie sollte für Mama einkaufen gehen und da…“
„Ach, deine arme Mutter!“ entfuhr es Nina.
„Ja, das kann man wohl sagen. Sie macht sich immer noch Vorwürfe, weil sie das kleine Kind allein fortgeschickt hat. Sie sollte nur zu unserem Kaufmann über die Straße laufen, aber…“
„Aber, mein Lieber, viele siebenjährigen Kinder werden doch zum Einholen weggeschickt.“
„Ja, das haben wir meiner Mutter auch tausendmal gesagt, doch ich glaube, sie hört nie auf mit ihren Selbstvorwürfen, die Ärmste.“
„Es macht trotzdem den Eindruck, als wäre Katja eine fröhliche kleine Seele.“
„Ja, das ist sie auch. Und weißt du, was das kleine Ding sagte? ,Ich bin so froh, daß ich früher einmal habe sehenkönnen. Da verstehe ich doch alles das, wovon ihr redet, viel besser.’ Und sie zwingt sich selbst, die Rückerinnerung wachzuhalten. Wie oft, glaubst du, habe ich sie abhören müssen, wie das und das aussieht. Und über Farben und Formen – das kleine Ding tut es also ganz bewußt.“
„Gunnar, ist wirklich gar keine Hoffnung?“
„Nein, es sei denn, irgendein Augenarzt würde etwas Neues erfinden. Das eine Auge ist ganz erblindet, auf dem anderen hat sie eine Lichtempfindung, aber auch nicht mehr. Was glaubst du, wie viele Augenärzte meine Eltern aufgesucht haben, und wie viele Untersuchungen die kleine Katja hat durchmachen müssen! Sie soll nicht mehr gequält werden, und man darf nicht versuchen, ihr irgendeine Hoffnung zu machen, die ihr doch nicht erfüllt werden kann. Was hast du auf dem Herzen, Nina? Ich würde dies gern fertig schreiben…“
„Ich verschwinde sofort wieder, Gunnar. Ich wollte nur fragen, ob du bereit wärst, morgen nachmittag und abend mit mir und Zottel zusammen das Haus zu hüten. Die Gäste machen alle einen Olsok-Ausflug, und Grete will zu ihrer Mutter.“
Gunnars Gesicht hellte sich auf. „Ob ich bereit bin? Du fragst, wie es deinem Verstand angemessen ist. Lauf jetzt hinunter, und denk darüber nach, welche Leckerbissen du morgen für uns beide allein machen kannst. Soll ich Katja grüßen?“
„Und ob! Tausendmal!
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