Nina, so gefällst Du mir
Nina“, sagte Grete.
„Yes, ma’m?“
„Ich habe eine angenehme Überraschung für dich!“
„Heraus damit!“
„Weißt du, was morgen für ein Tag ist?“
„Der 29. Juli. Was ist denn mit dem Tag?“
„Nina, du bist genauso ungebildet wie die ,begabte Bellina’. Sie fragte auch, was mit dem Tag los sei, und ich habe ihr einen langen Vortrag gehalten über König Olav den Heiligen und über seinen Tod in Stiklestad am 29. Juli 1030. Aber das einzige, was sie begriff, war, daß wir morgen Olsok-Feier haben und daß alle Menschen deswegen die halbe Nacht im Freien verbringen mit Tanz und Kaffeekessel und Feuer und Ziehharmonika.“
„Ja, aber weißt du, das ist ja ein bißchen viel verlangt, daß Bellina einen Zusammenhang sehen soll zwischen Ziehharmonika und einem heiligen König. Also, war das die Überraschung? Daß morgen Olsok ist?“
„Nein, die Überraschung besteht darin, daß du frei hast. Vom Lunch bis zum nächsten Morgen.“
„Hallo, ist dir die Gewerkschaft auf die Pelle gerückt, oder der Verein zur Besserung der Arbeitsverhältnisse unterdrückter Hotelmädchen?“
„Nein, das nicht gerade. Aber unsere Gäste machen eine gemeinsame Fahrt mit Kaffeekessel und Wurstkessel und so weiter. Sie wollen auf dem Schwalbenholm ein Olsokfeuer machen und…“
„O wie himmlisch! Siehst du, so ein armes, mißbrauchtes und ausgenutztes Hotelmädchen kommt gar nicht dazu, an solche Sachen wie Olsok und Feuer zu denken. Aber das ist ja einfach großartig, Grete! Und was machen wir morgen?“
„Ihr beide, du und Gunnar, könnt machen, was ihr wollt. Bellina fährt nach Bekkum; sie hat schon die Lockenwickler hervorgeholt. Und ich hüte das Haus und das Telefon.“ Nina schlang die Arme um Grete und drehte sie im Kreis herum. „Wenn irgend etwas auf dieser Erde sicher ist, dann ist es die Tatsache, daß du morgen nicht das Haus und das Telefon hütest. Du wirst deine Luxuslimousine herausholen und deine Mutter besuchen und den ganzen Nachmittag und Abend bei ihr bleiben. Du hast doch gesagt, sie wäre jetzt schon manchmal auf.“
„Ja“, sagte Grete.
„Und es läßt sich doch sicher machen, daß ihr irgendwo am dritten Ort zusammen sein könnt.“
„Ja, Mutti hat sich sehr mit der Oberschwester angefreundet. Vielleicht können wir…“
„Fein! Nimm einen Freßkorb mit allerlei guten Dingen mit. Ich helfe dir gern, ihn zurechtzumachen. Und Gunnar und Zottel und ich hüten das Haus.“
„Glaubst du, daß Gunnar das will?“
„Ob er will? Darauf kannst du Rattengift nehmen. Wo ist er übrigens?“
„Ich glaube, er ist in seinem Zimmer!“
„Schön! Ich lauf schnell mal rauf und frage ihn.“
„Ach, Nina! Ihr seid so schrecklich lieb zu mir. Ich weiß tatsächlich nicht, wie ich euch das jemals danken soll – was ich mit dir und Gunnar machen soll.“
„Machen soll? Untersteh dich, etwas mit Gunnar zu machen! Was mit ihm gemacht werden muß, mache ich selber.“ Nina tänzelte geradezu aus der Tür und schlug sie mit einem munteren Knall hinter sich zu.
Grete blieb sitzen und lächelte. Die liebe, tüchtige Nina! Die fleißige, süße, glückliche Nina!
Die fleißige, süße, glückliche Nina nahm immer zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf und klopfte an Gunnars Tür.
„Herein! Aha, fängst du jetzt an, junge Männer auf ihrem Zimmer zu besuchen? Du kannst mir wohl nicht zwanzig Minuten freie Zeit gönnen, was? Was ist denn los? Siamesische Gäste oder ein Mülleimer, der geleert werden muß?“
„Ein Mädchen, das geküßt werden will“, lachte Nina und legte ihren Arm um seinen Hals. „Du, Gunnar! Nein, was in aller Welt tust du denn da? Was ist denn das?“
Sie zeigte auf einen sonderbaren Rahmen, der auf dem Tisch lag. Gunnar folgte ihrem Blick und lächelte. „Das ist Brailleschrift. Ich schreibe an Katja!“
„Ach! Kannst du auch Blindenschrift schreiben, Gunnar?“
„Das kannst du dir doch denken. Schreiben kann ich sie jedenfalls. Das Lesen ist verzwickt. Aber Katja liest mit ihren kleinen Fingerspitzen ganz fließend. Ich hatte heute mittag Post von ihr. Ich fand, ich müßte ihr sofort antworten. Du kannst den Brief übrigens gern lesen.“
Ein maschinengeschriebener Bogen wurde Nina in die Hand gesteckt.
„Oh, schreibt sie Maschine?“
„Fehlerfrei, wie du siehst. Wenn sie aber lesen will, dann muß es Blindenschrift sein. Darum habe ich sie gelernt. Mama kann sie auch. So kann Katja alle ihre Briefe selber lesen. Aber lies doch, was sie
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