Nina, so gefällst Du mir
beiden heute bewundert. Sie sind phantastisch gefällig gewesen. Aber meine Ansicht über ihr niedriges Kulturniveau habe ich beibehalten.“
„Ach, Gunnar! Du bist ein fürchterlicher Snob!“
„Nein, das bin ich nicht, Nina. Ich habe nur eine Schwäche für Kultur und für Wissen und für Intelligenz.“
„Weißt du, wofür ich eine Schwäche habe? Für Herzensbildung.“
„Das natürlich auch.“
„Der Unterschied ist nur, daß bei dir die Intelligenz an erster Stelle kommt und bei mir das Herz. Und deshalb kann ich auch das Ehepaar Andrews voll anerkennen. Herzensbildung haben sie, und wenn es darauf ankommt, haben sie wahrhaftig auch Vernunft. Sie sind immer weiter das geblieben, was sie sind, Gunnar. Sie haben nicht versucht, sich als etwas anderes auszugeben. Sie behaupten sich auf ihrem Gebiet. Sie wären lächerlich, wenn sie anfingen, so zu tun, als verstünden sie etwas von Atomphysik oder klassischen Sprachen.“
„Du hast unbedingt recht. Es ist nur so…“
„… daß sie dir nicht passen, das ist klar. Aber, Gunnar…“ Hier stockte Nina und sah Gunnar ins Gesicht.
„Welche Schuhnummer hast du, Gunnar?“
„Welche Schuhnummer? Was für eine komische Frage.“
„Antworte mir trotzdem.“ Nina war furchtlos und ihre Stimme eindringlich.
„Nummer zweiundvierzig.“
„Nun gut. Aber deswegen haben Nummer vierzig und einundvierzig und dreiundvierzig auch Daseinsberechtigung. Es ist nur so, daß sie dir nicht passen. Du kannst nicht verlangen, daß die Fabriken nur Schuhe machen, die dir passen. Und du kannst nicht verlangen…“
„… daß der liebe Gott nur Menschen macht, die mir passen, meinst du.“ Gunnar sagte es mit einem kleinen Lächeln, aber in seinen Augen stand Ernst.
„Ja, und du mußt die Menschen nehmen, wie sie sind. Wenn ich nur wüßte, was dir einfällt. Du bist zum Beispiel immer nett zur ,begabten Bellina’, und du willst doch nicht behaupten, daß sie zu deinem Niveau oder Milieu gehört. Du hast mich – ich meine, du magst mich, und mein Vater ist keineswegs Dozent; er ist ein ganz gewöhnlicher Prokurist, und ich bin ein ganz alltägliches Mädchen. Da muß sichirgend etwas in dir festgesetzt haben, Gunnar, und du hast einen Komplex bekommen – nennt man das nicht so? – , und ich glaube, es ist dein Onkel, der gute Onkel Espetun.“ Gunnar schwieg. Dann legte er wieder den Arm um Nina. „Du bist nun doch nicht so ganz alltäglich, Nina“, sagte er leise. „Ich glaube tatsächlich, du hast ein angeborenes psychologisches Talent.“
„Ich bin dir wirklich dankbar, daß du nicht ,psychopathisch’ gesagt hat“, lächelte Nina.
„Du zwingst mich jetzt, über unheimlich Vieles nachzudenken“, sagte Gunnar leise, „und vor allen Dingen bin ich gezwungen, etwas zu tun, wovor mir graut. Ich muß wieder mit Onkel Espetun Verbindung aufnehmen, und ich muß… ja, ich muß schlechterdings…“
Gunnar stotterte, und Nina merkte zu ihrem eigenen Erstaunen, daß sie den überlegenen, klugen, begabten Gunnar nie so sehr geliebt hatte, wie sie diesen stammelnden, verlegenen, hilflosen Gunnar liebte.
„Ja, eben, das mußt du tun“, sagte Nina, „um Entschuldigung bitten. War es nicht das, was du sagen wolltest?“ Gunnar war glühend rot. „Doch“, sagte er. Nina hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt, und Gunnar setzte sich zu ihren Füßen. Er lehnte seinen Kopf an ihr Knie. „Du, Ninachen, nur siebzehn Jahre und so klug.“
„Ich bin überhaupt nicht klug. Alles kommt nur davon, daß ich dich liebhabe.“
„So?“
„Ja, denn da denke ich viel über alles nach, was dich angeht, und wenn man viel über etwas nachdenkt, dann muß man ja irgendwie zu einem Schluß kommen. Ich glaube einfach, ich begreife, was mit dir los ist, verstehst du?“
„Ja, scheint so. Was du für hübsche Hände hast und so tüchtig und fleißig – und so energisch.“ Er küßte die Fingerspitzen und die Handflächen.
„Du!“ Eine feine Röte stieg in Ninas Wangen. Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und legte ihn an ihre Brust. Und mit einemmal stieg ein neues Gefühl in ihr auf. Es war genauso, als sei Gunnar klein und sie groß, genauso, als sei er ein kleiner Junge, der bei ihr Hilfe suchte.
Nina war siebzehn Jahre alt, und sie wußte nicht, daß in diesem Augenblick etwas geschah, das doch mit jedem jungen Mädchen einmal geschehen muß. Sie war jetzt kein Kind mehr. In dieser Minute wuchs sie innerlich zur Frau.
Eine Überraschung
„Du,
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