Ninis - Die Wiege der Baeume
herum und stierte in die Wolken, was auch immer sie an diesem ewig scheißkalten Wetter fand. Sie marschierte zurück und mühte sich einige lange Treppen hoch, bis sie endlich durch ein Tor gelangte, das nach draußen führte. Unvermittelt blies ihr die kalte Polarluft ins Gesicht. In den Ecken schoben sich Schneeverwehungen in die Höhe und an den Bärten der vor Kälte zitternden Wachen hingen feine Eiszapfen. Die Treppen, ihr Rücken und diese verfluchte Kälte! Wie gerne würde sie dieses verdammte Gemäuer verbrennen, einmal gut durchheizen und dann im Meer versenken!
Siria gab sich wenig Mühe, ihre gereizte Stimmung zu verbergen. Sie zeterte, fauchte und schlug mit ihrem Stock Kerben in die schwarzen Steinplatten. Jeder sollte sie hören. Einige versuchten noch dezent einen anderen Weg zu nehmen oder mühten sich, möglichst geschäftig auf das Eismeer zu starren. Diese ganzen Trottel!
Sie blieb abrupt stehen und schüttelte den Kopf. Das war hoffentlich nicht das, wonach es aussah! Dieses freche Stück würde sich doch nicht in diese kalte Ecke verkriechen, um mit einem Kerl herumzumachen. Gleich war sie bei ihr. Siria hoffte für sie, sich zu irren!
Zielstrebig marschierte sie auf Feriosi und eine zweite Person zu, die sich, mit den Köpfen nahe beisammen, angeregt und sichtlich amüsiert unterhielten. Auf den letzten Schritten hörte Siria noch Gesprächsfetzen über eine weiße Königin . Sie platzte mit grimmiger Freude in die Zweisamkeit.
„Feriosi, ich suche dich schon die ganze Zeit. Du solltest mir vom Quacksalber einen Tiegel Salbe besorgen. Ich warte, junge Dame!”
„Oh ja, entschuldigt! Ich war noch kurz hier oben … ich wollte gleich bei Euch sein, wirklich.” Sie stolperte und landete beinahe in einer Schneewehe.
„Und wer ist dieser Kerl, der es wagt, seinen Kopf vor mir unter der Robe zu verbergen?” Von wegen dick machen lassen! Und die Frau von so einem Narren werden, der sich in der Ferne voller Stolz den Kopf abschlagen ließ!
„Das ist meine Cousine, eine Seherin. Bitte, werte Siria, Ihr gabt mir doch den Auftrag, die Ohren offen zu halten. Sie ist eine meiner besten Quellen.” Feriosi blickte wie ein junges Wild, das gerade von einem Jäger gestellt wurde, während ihre Cousine gequält lächelte und eifrig nickte. Das war also eine aus ihrer geschwätzigen Verwandtschaft?
„Du hast gefälligst in meiner Nähe zu sein, wenn ich dich brauche! Jederzeit, verstanden?”
Feriosi senkte demütig den Kopf: „Ja, natürlich, werte Siria.”
„Dann los! Ich brauche meine Rückensalbe. Rasch!” Siria zog sie weg und mäßigte ihre Stimme. „Hast du dich etwa über die weiße Königin unterhalten? Die Hüterin der Bäume, oder wie sich diese vermaledeite Aufrührerin auch nennen lässt? Du weißt doch genau, dass Amone verboten hat, diesen Namen in Saladan auszusprechen!”
„Ja”, klang es schuldig, als ob sie im Geiste nach einem Mauseloch suchte.
„Und Amun'ral? Du weißt, dass für diesen Namen der Henker auf dich wartet!”
„Jaaa … bitte, werte Siria, ich würde niemals …”
Siria lächelte ungeduldig: „Sehr gut! Erzähle mir alles und lass dabei kein Detail aus!” Sie gierte nach Neuigkeiten. Dass Amone aber auch glaubte, sie wüsste sich nicht zu helfen, nur weil sie aus dem Rat vertrieben wurde.
„Werte Siria, stellt Euch nur vor, Amun'ral, die weiße Königin, soll eine derart mächtige Zauberin sein, dass sie Bäume auf kargem Stein wachsen zu lassen vermag! Viele ihrer Jünger nennen sie deshalb auch die Hüterin der Bäume, denn aus ihren Tränen wächst das Leben.”
„Welch' ein Humbug! Wer weiß schon, wie sie wirklich die Menge täuscht!”
„Seit fast fünf Wintern streben Flüchtlinge an einen geheimen Ort des Wassers. Dort soll es Nahrung im Überfluss geben! Jeder, der diesen heiligen Ort findet, wird aufgenommen und reich beschenkt! Inzwischen sind es Tausende. Ganze Völkerscharen machen sich auf den Weg.”
„Hat unsere Flotte diesen Ort noch nicht gefunden? Mittlerweile dürfte der doch nicht mehr schwer zu finden sein. Einfach der Menge nach, oder?”
„Der Schwager meiner Cousine dient als Bordschütze in der vierten Flotte, die gestern in Saladan einlief. Er kommt direkt aus den Gebieten im Süden.” Gelobt sei die zahlreiche und vor allem redselige Familie von Feriosi.
„Allein während der letzten dreißig Tage sind über vierzehn Meldungen unserer Agentinnen eingegangen. Alle berichten über den genauen Weg nach
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