Ninis - Die Wiege der Baeume
„Falls es für euch zu lange her ist, kann ich euch gerne die alten Schriften zeigen. Unsere Wut hat uns schon einmal an den Abgrund geführt.” Sie stand auf und legte ein paar Schriftrollen auf den Tisch, die sie mitgebracht hatte.
Belehrungen waren genau das, was Levinie jetzt brauchte! Sie schlug ihre Krallen in die Holzplatte, Holzstückchen flogen umher und die anderen Ratsmitglieder, bis auf Varus, zuckten zusammen. „Ja, ich kenne unsere Wut und ich zeige euch gerne meine! Keiner von euch wird Hand an meine Enkelin legen. Ich sorge für sie! Yirmesa ist eine von uns und wird es bleiben!”
Karlema tobte: „Yirmesa ist verflucht! Sie wird uns alle ins Unheil stürzen!”
„Karlema! Wage es nicht! Pack sie an und ich zerreiße dich in kleine Stücke!”
„Bitte … bewahrt Ruhe!”, beschwichtigte Jelor.
Levinie war außer sich: „Lass mich! Nein! Ich lasse das nicht noch einmal mit mir machen! Nein, nicht noch mal!” Ihre Eckzähne hatten ihre Länge bereits verdoppelt.
Jelor wich einen Schritt zurück. „Wir machen eine Pause, bitte geht alle nach draußen und kühlt eure Gemüter ab!”
Kurze Zeit später saß Levinie auf dem Plateau ihres Wohnbaumes. Die Welt drohte vollends einzustürzen. Berlienies hatte Niavia, die Anführerin der Wächterinnen, gebeten mit ihr zu sprechen. Jeder wusste, wie nahe ihr Niavia war. Levinie hatte sie selbst ausgebildet und ihr die Führung der Wächterinnen übergeben, als Jelor sie in den Rat berufen hatte.
Jelor kam ebenfalls hinzu und setzte sich neben sie. Fürsorglich legte er die Hand an ihre Schulter. „Ich verstehe, dass es schmerzt und ich kenne deine Verluste. Auch ich trauere um deine Töchter. Ich weiß, dass Yirmesa alles ist, was dir geblieben ist … nur, du kennst unsere Geschichte!”
„Ja.” Levinie nickte und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Sie ahnte bereits, was ihr Jelor sagen wollte. Wie nur sollte sie ihn noch umstimmen?
„Wir wissen beide, dass Yirmesa unbekannte Wurzeln hat. Deine Tochter hatte uns nie gesagt, wer Yirmesas Vater war. Deine Kleine ist deshalb ohne den Schutz der Monde geboren.”
Sie schaute ihn an: „Jelor, das kannst du nicht tun! Ich habe dir doch mal etwas bedeutet!”, antwortete Levinie verzweifelt, seine Worte trafen sie wie Stockschläge.
„Das tust du immer noch!”
„Aber du willst meine Kleine vertreiben!”
„Wir haben damals zugestimmt, ihr eine Chance zu geben. Nur müssen wir heute erkennen, dass ihr Weg ein anderer ist. Yirmesa bringt uns alle in Gefahr!”
„Jelor, das kannst du mir nicht antun … nein!”
„Es geht nicht anders.”
„Nein …” Levinie schaute hoffend Niavia an. Nach dem Tod ihrer Töchter hatte sie Niavia wie ihr eigenes Kind behandelt, ihr alles über das Kriegshandwerk beigebracht. Ihr alles gegeben, was sie geben konnte.
„Dein Mut hat uns in den frühen Steinkriegen vor dem Untergang bewahrt. Ich habe viel von dir gelernt! Aber ich kann nicht leichtfertig das Leben unseres Volkes riskieren.”
„Niavia, aber es ist doch Yirmesa! Du kennst sie seit ihrer Geburt!”
„Ja, und ich bin auch für unsere Sicherheit verantwortlich. Ich würde für Yirmesa im Kampf jede Grenze überschreiten. Jede! Aber heute schütze ich in Menisis das Wohl aller.”
Levinie sackte zusammen. Jelor und Niavia, deren sie sich immer sicher war, rissen ihr Stücke ihrer Seele aus dem Leib. Sie fiel ins bodenlose. Angst schoss ihr durch den Kopf, in Gedanken sah sie ihren zerrissenen Körper auf einem hohen Steinturm inmitten einer tobenden Schlacht aufschlagen. Levinie sah in ihre eigenen toten Augen, sie hatte den Kampf gegen einen Gegner verloren, den sie nicht verstand.
Etwas später versammelten sich die Mitglieder des Rates wieder im Baumstumpf. Jelor stand auf, bevor Karlema die Stimme heben konnte. Levinie blickte starr gegen die Wand, in ihr brannte es lichterloh.
„Ich denke, wir werden einen Weg finden”, eröffnete er.
Karlema sah Jelor fragend an.
„Yirmesa ist eine von uns, doch sie lebt ohne den Segen der Monde. Das Zeichen gestern warnte uns deutlich!”
„Wie wahr!” Karlema nickte, sollte ihr doch der Triumph über Yirmesas Verbannung im Halse steckenbleiben. Tränen rannen Levinies Wangen hinab.
„Aber wir kennen unsere Verantwortung! Ich wünsche Yirmesa das Beste, aber sie wird uns verlassen!”
Jelor nahm wieder Platz. Levinie stand auf, doch was sollte sie jetzt noch sagen? Sollte sie weiterkämpfen? Sie blickte jedem in die
Weitere Kostenlose Bücher