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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ninotschka unter einer der Newabrücken. Die Gräfin Murawjeff lachte Koschkin einfach aus, und die Fürstin Wolkonsky bot ihm an, mit ihr zusammen durch Petersburg zu ziehen und straßauf, straßab Ninotschkas Namen ausrufen zu lassen.
    Alles Suchen blieb vergeblich. Nur einmal entdeckte man den Kutscher Miron. Man verfolgte ihn, aber er konnte in den Gassen der Altstadt entkommen.
    Durch eines der vielen Seitentore betrat Ninotschka den Winterpalast. Nikolaus I. wartete stehend vor dem prasselnden Feuer des Kamins in seiner Bibliothek. Er war allein, trug die Uniform eines Feldmarschalls und rührte sich nicht, als Ninotschka vor ihm auf den Teppich sank und mit der Stirn den Boden berührte – die Haltung einer unterwürfigen Magd, einer Leibeigenen.
    Eine Weile betrachtete Nikolaus stumm das zusammengesunkene Mädchen. Dann sagte er hart: »Stehen Sie auf, Mademoiselle. Gefällt Ihnen die Anrede? Sie und Ihr Hitzkopf von Leutnant schwärmen ja für den französischen Stil.«
    »Ich bitte Majestät um nichts als um Gnade.« Ninotschka richtete sich auf, blieb aber knien. Sie blickte zu dem Zaren hoch, und dieser Blick war so kindlich, so voller Vertrauen, daß in Nikolaus alle Härte schmolz. Er machte ein paar Schritte nach vorn, beugte sich zu Ninotschka hinunter und zog sie an den Schultern vom Boden hoch.
    »Ihr Leutnant wollte mich töten, Ninotschka Pawlowna! Das läßt sich nicht leugnen.«
    »Er kämpfte nie gegen die Person Eurer Majestät, sondern nur gegen den Geist der Regierung. Ich weiß, wie man Revolutionen in Rußland bestraft … Deshalb flehe ich nicht um Gerechtigkeit, sondern um Gnade. Borja liebt sein Rußland, wie Majestät es lieben. Und er ist so jung …«
    »Nicht zu jung, um eine Attacke gegen meine Soldaten zu reiten.«
    »Aber zu jung, um dafür getötet zu werden.«
    »Wenn ich einen begnadige, muß ich alle begnadigen. Ich will ein gerechter Herr sein!« Nikolaus wandte sich ab und ging langsam zum Kamin zurück. Er starrte in das flammende Feuer. »Ich habe keinen Einfluß auf den Ausgang des Prozesses. Die Richter sind frei und unabhängig.«
    »Aber Sie können als höchster Richter Rußlands den Tod durch einen Gnadenakt abwenden.« Ninotschka faltete die Hände. Sie sah Borja wieder vor sich, in der zerrissenen Uniform, den blutverkrusteten Verbänden, mit seinem bleichen, bartüberwucherten Gesicht, seinen hohlen Augen, die verrieten, daß er mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte.
    »Majestät«, sagte sie leise. »Alle, die sich Dekabristen nennen, mögen Verräter an Eurer Majestät sein. Aber sie sind auch Söhne Rußlands und haben es getan, weil sie glaubten, ihrem Land damit dienen zu können. Keiner von ihnen hat einen persönlichen Vorteil davon gehabt.«
    »Das weiß ich.« Nikolaus drehte Ninotschka noch immer den Rücken zu. »Sie sind Verräter und Patrioten zugleich … Das macht es so schwer, sie zu verurteilen. Ich liebe die Größe unserer russischen Seele, aber ich habe nicht vor, ihr Opfer zu werden.« Er drehte sich um. Sein schmales Gesicht lag im Schatten, der Feuerschein des Kamins erreichte es nicht mehr. »Ich danke Ihnen, Ninotschka Pawlowna, daß ich mit Ihnen sprechen konnte.«
    Das war das Ende der Audienz. Nur ein paar Worte, ein freundlicher Blick … Zurück blieb die Ungewißheit über Borjas Schicksal.
    Ninotschka blieb stehen, obwohl der Zar sie nicht mehr beachtete, sondern sich abwandte und mit schweren Schritten zum Fenster ging, von dem aus man zur Newa hinüberschauen konnte. Schlitten glitten über den zugefrorenen Fluß, gezogen von kleinen, struppigen Pferdchen, denen man die Hufe mit Säcken und Stroh umwickelt hatte, damit sie nicht ausglitten.
    »Gnade, Majestät«, flehte Ninotschka leise. »Gnade …«
    »Gehen Sie!« Nikolaus stand breitbeinig am Fenster und starrte auf den Fluß. »Auch Gnade braucht die Zeit der Überlegung.«
    »Nur Sie können Rußland helfen, Majestät. Das Volk ist ratlos.«
    »Ich weiß es, Ninotschka Pawlowna. Ich lebe nicht auf einem fernen Stern, ich lebe mitten unter euch. Und gerade das verpflichtet mich, hart zu sein. Ein Zar, der streichelt, wird verlacht und gilt als Narr. Ein Zar der harten Faust aber wird geachtet. Der Mensch ist ein seltsames Wesen, Mademoiselle. Gehen Sie jetzt.«
    Es war endgültig, es war ein Befehl. Ninotschka verbeugte sich und verließ dann die Bibliothek. Draußen nahm sie der Befehlshaber des Pagencorps in Empfang und führte sie weg. Wie betäubt ging sie durch die

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