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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pelzmantel über und setzte ihm die hohe Fellmütze auf. Dann kamen einige Soldaten aus der Scheune und stellten sich rechts und links neben dem Tor auf wie zum Spalier.
    »Was hat das zu bedeuten?« fragte Ninotschka. Sie stand neben der Fürstin Trubetzkoi. Ihr schmales Gesicht war noch gerötet von der Anstrengung, als sie vorhin mit zwei anderen Frauen versucht hatte, mit einem schweren Tisch die massive Tür der Poststation aufzubrechen.
    »Eine Parade der Hölle!« Die Trubetzkoi lehnte die Stirn gegen das vereiste Holz des Fensterrahmens. »Ich ahne es, Ninotschka Pawlowna. Ich habe einmal durch Zufall einen Sträflingstransport auf dem Weg nach Sibirien gesehen. Ich bin an ihm vorbeigefahren. Sie gingen zu Fuß, immer vier nebeneinander, ein endloser Zug. Und um die Füße hatten sie …« Sie verstummte und deutete hinaus. »Da sehen Sie es selbst!«
    Ein helles Stöhnen ging durch die Schar der Frauen.
    Die Sträflinge erschienen. Aber noch bevor man sie sah, flog ihnen das schauerliche Klirren der Ketten voraus. Sich gegenseitig stützend, wankten sie aus der Scheune und schleppten die Ketten hinter sich her. Wie Menschen, die nach langer Dunkelheit zum erstenmal ans Tageslicht kommen, blickten sie sich um, starrten hinüber zu den Frauen und schienen sie nicht zu erkennen.
    Murawjeff hielt seine Kette wieder hoch vor die Brust. Er hatte entdeckt, daß man so besser laufen konnte, als wenn man das ganze Gewicht des Eisens an den Fußknöcheln nach sich zog. Aber dafür ermüdeten die Arme, und wenn die Ketten später im klirrenden Frost vereisten, würde die Kälte in den Handflächen brennen wie Feuer.
    Stumm wankten die Elendsgestalten zu den bereitgestellten Schlitten hinüber und kletterten mühsam hinein. Ein paar Soldaten halfen ihnen, packten sie unter die Achseln und schoben die Ketten hinterher.
    »O Gott, warum läßt du das zu!« stammelte Ninotschka. Sie zitterte am ganzen Körper. »Gnade, Gott, Gnade …«
    »Gott hat Sibirien vergessen«, sagte die Trubetzkoi hart. »Wir können nur uns selber helfen.«
    Sie sahen ihre Männer an, wie sie jetzt in den Schlitten hockten und die Decken über sich zogen. Borja suchte nach Ninotschka. Als er sie an dem Fenster entdeckt hatte, hob er die Hand und winkte ihr zu. Vom Magazin rumpelte ein schwerer, klobiger Transportschlitten mit drei kräftigen Pferden heran – der Verpflegungswagen. Das verriet, daß man jetzt nicht mehr in Poststationen übernachten würde, sondern in eine Gegend kam, wo man sich selbst versorgen mußte. Oberst Globonow verabschiedete sich von Aljoscha, dem Postmeister, und riet ihm, allen Schaden, den die Frauen angerichtet hatten, der Postdirektion zu melden. Die Kosaken rannten zu ihren Pferden und saßen auf.
    Globonow humpelte durch den Schnee zu dem Fenster, an dem die Trubetzkoi und Nina standen. »Bespucken Sie mich nicht, meine Damen«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Ich tue nur meine Pflicht. Man fragt nicht, was ich denke und fühle. Es übersteigt auch meine Befugnisse, wenn ich Ihnen jetzt etwas verrate: Vierhundert Werst lang werden wir keine Station mehr anfahren. Die mitgenommene Verpflegung reicht nur für uns. Selbst die Soldaten werden sich den Gürtel enger schnallen müssen. Für Sie, meine Damen, ist nicht gesorgt.«
    »Wir werden nicht verhungern«, entgegnete Ninotschka stolz. »Ich kann schießen wie ein Mann.«
    »Von erschossener Luft werden Sie nicht leben können.« Globonow grüßte, sah die Frauen noch einmal mit einem langen Blick an und dachte:
    Wie lange wird ihr Mut halten? Wieviel von ihnen werden Tschita erreichen, diese Sträflingsstadt im Süden Sibiriens, den letzten großen Umschlagplatz für Menschen, bevor die Kolonnen in die völlige Wildnis und das Vergessen ziehen?
    Er humpelte zu seinem Schlitten, stieg mit Hilfe seines Burschen ein und kroch unter die dicke Felldecke. Die Kosaken hatten sich formiert, die Schlitten mit den Soldaten warteten schon außerhalb des Posthofes. Jetzt fuhren die Kutscher der Frauen vor, an ihrer Spitze Miron Fedorowitsch.
    »Kolonne abfahren!« rief Globonow. Die Schlittenkufen knirschten über den verharschten Schnee. Aljoscha, der Postmeister, zog seine Mütze, machte einige tiefe Verbeugungen und rief: »Gott befohlen, Euer Gnaden! Kommt alle gut zurück.«
    Die Kosakenschwadron trabte an, der weiße Dampf aus den Pferdenüstern wallte wie kleine Wolken über Menschen und Tieren, dann stob die Kolonne davon und hinterließ nur einen Nebel

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