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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kleines Dorf, völlig eingeschneit, mit zugenagelten und verklebten Fenstern. Nur der Rauch aus den Kaminen bewies, daß hier Menschen und Tiere den Winter überdauerten wie Bären in ihrer warmen Höhle.
    »Dort gibt es sicher auch Pferde!« rief Miron. »Wie weit ist das Dorf entfernt? Zwanzig Werst? Da verlieren wir einen Tag, aber wir holen ihn wieder auf mit den frischen Gäulen. Los, los, Brüderchen, zum Dorf!«
    Die Frauen gaben Miron einen Beutel voll Rubel mit, die Trubetzkoi trennte sich sogar von einem wertvollen Ring. Dann ritten die Männer davon. Die Schlitten waren zu einem Rund aufgefahren, Feuer loderten, zum erstenmal nach zehn Tagen konnte man sich richtig ausruhen, die Geschirre flicken, sich im heißen Wasser aus geschmolzenem Schnee waschen und vor allem das tun, was man bisher immer gescheut hatte: die armen, lahmen, schwankenden Pferde töten, für die der Weitermarsch nur noch eine unnennbare Qual geworden wäre.
    Die Fürstin Trubetzkoi verkroch sich in ihrem Schlitten und zog ihre Pelzdecken über sich, als man zwei ihrer edlen Pferde erschoß. Früher waren sie mit purpurnen Schabracken bei den kaiserlichen Paraden mitgeritten. Jetzt, am Rande Europas, waren es knochige Klepper, für die der Schuß in den Kopf eine Erlösung bedeutete.
    Am Abend kamen Miron und die anderen Männer zurück. Sie brachten vierzehn kleine Steppenpferde mit, stämmige Tiere, die froh waren, aus dem engen Stall herauszukommen und sich in der Weite der Schneefelder zu tummeln.
    Am nächsten Morgen fuhren sie weiter. Die kleinen Pferdchen legten sich ins Geschirr, daß es eine Freude war. Sie berührten kaum die Erde mit ihren Hufen und flogen nur so über das Schneefeld dahin.
    »Hoi! Hoi!« schrie Miron fröhlich. »Lauft, ihr Lieben! Streckt euch, ihr Guten. Auf euch kann man sich verlassen! Jetzt kann uns Sibirien nichts mehr anhaben!«
    Auf der Höhe des Paßes schlugen die Soldaten und Deportierten ihr Lager auf. Oberst Globonow humpelte an die Stelle, von der aus man ins Tal hinunterblicken konnte. Hier standen schon Trubetzkoi, Murawjeff, Wolkonsky, Borja Tugai und ein paar andere und starrten in die Tiefe. Die zugefrorenen Flüsse blinkten in der Abendsonne. Und sonst Wälder, so weit man blicken konnte. Wälder, Schnee und Schweigen.
    »Jawohl, das ist Sibirien«, sagte Globonow mit einem Zittern in der Stimme.
    Die Deportierten schwiegen. Ihre Ketten klirrten, als sie sich bewegten. Sie hatten sich jetzt an die Eisenlast gewöhnt und machten es wie Murawjeff. Sie nahmen die Ketten in die Hände und ließen so viel Spielraum, daß sie gut dabei ausschreiten konnten.
    »Wie geht es jetzt weiter?« fragte Borja.
    »Da hinunter, mein Lieber.« Globonow zeigte in die Tiefe. »Dort unten treffen wir wieder auf die Poststraße. Wir haben seit fünf Tagen einen Umweg gemacht.«
    »Wozu?« fragte Wolkonsky ironisch. »Um uns die schöne Gegend zu zeigen?«
    »Das Gebiet, das wir umgangen haben, ist unruhig. Es hätte zu Sympathiekundgebungen für euch kommen können, vielleicht zu Schlägereien. Begnadigte Strafgefangene haben diese Siedlungen auf Befehl des Zaren angelegt, um das Land zu erschließen. Auch große Ländereien der Stroganoffs liegen dort. Man hat kein Interesse, da Deportierte durchziehen zu lassen.«
    Später stand der Oberst unruhig außerhalb des Lagers und blickte die Straße hinunter. Er war daran gewöhnt, daß die Schlitten der Frauen ungefähr im Abstand von einer Stunde folgten. Aber diesmal blieben sie aus.
    Als die Nacht aus dem Tal heraufkroch, ließ er seinen Schlitten wieder anspannen und fuhr ein Stück des Weges zurück. Aber kein Schlitten war zu entdecken , kein Laut zu hören bis auf das ferne Heulen einsamer Wölfe, die hungrig durch den Schnee strichen.
    Globonow machte sich Sorgen. Die Wölfe waren keine Gefahr – eine so große Schlittenkolonne griffen sie nicht an. Außerdem waren die Kutscher bewaffnet. Aber daß die Frauen nicht nachgekommen waren, mußte doch einen Grund haben …
    Der Oberst kehrte zum Lager zurück und befahl einer Kosakenabteilung, die Frauen ausfindig zu machen. »Sobald ihr sie gesichtet habt, kommt ihr zurück. Sie brauchen euch nicht zu sehen. Sonst denken sie noch, daß wir uns um sie kümmern.«
    Gegen Mittag des nächsten Tages – der Sträflingstransport fuhr auf Globonows Befehl erstaunlich langsam die Gebirgsstraße hinab – entdeckten die Kosaken die Schlittenkolonne der Frauen. Sie wendeten sofort und galoppierten zurück. Globonow

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