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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gebraucht.« Er lächelte schief.
    Globonow trat an den ersten Schlitten heran. Er zögerte einen Augenblick, griff dann zu und zog die Decke zur Seite. Im Morgenlicht glitzerten Ketten.
    Schöne neue Ketten waren es, mit verschließbaren Schellen an den Enden. Ketten, gerade so lang, daß sie einen weiten Schritt zuließen, und genauso schwer, daß man sie mühsam mit sich schleppen konnte über Tausende von Werst, durch Regen und Sturm, klirrenden Frost, wirbelnden Schnee und glühende Sonne. Durch Wälder und Sümpfe, über Berge und endlose Ebenen.
    Sibirien begrüßte seine Verbannten, wie es ihnen zukam: mit Ketten.
    Oberst Globonow wandte sich schroff ab.
    »Wache!« brüllte er über den Platz. »Die Gefangenen wecken! Aljoscha!«
    »Herr Oberst?« Der dürre Postmeister kroch in sich zusammen.
    »Kann man die Frauen einschließen?«
    »Es ginge, Euer Hochwohlgeboren!«
    »Dann schnell! Sperr sie ein. Die Gefangenen hinüber zum großen Pferdestall!«
    Aljoscha rannte davon wie ein Wiesel, um alle Türen der Postmeisterei zu verschließen. Die Männer aus Perm begannen, die Ketten abzuladen. Gerade ging eine bleiche Wintersonne am Himmel auf.
    Globonow preßte die Lippen zusammen. In fünf Tagen ist Weihnachten, dachte er. Dann werden wir im Ural sein, und sie haben sich an die Ketten gewöhnt.
    Ihm war hundeelend zumute.
    Von dem bewachten Nebengebäude, in dem die Verbannten untergebracht waren, ertönten laute Kommandorufe. Dann näherten sich Schritte, Stimmengewirr klang auf, und die Wachposten riefen: »Schneller! Schneller! Voran!«
    Die Deportierten tauchten auf. Es war ein Anblick, der einem das Herz herumdrehte, wie sie da herankamen, in zerlumpten Sträflingskleidern, mit Decken über den Schultern, noch halb verschlafen, aus dem armseligen Vergessen einer kurzen Nacht gerissen, angetrieben wie eine Viehherde.
    In der Scheune, deren Doppeltore weit geöffnet waren, standen die Männer aus Perm neben ihren abgeschirrten Schlitten. Noch waren die Ketten mit Fellen und Decken zugedeckt, aber General Murawjeff ahnte Böses, denn er rief: »Paßt auf, Brüder, sie haben irgendeine Gemeinheit mit uns vor! Seht euch nur die Gaunervisagen an!«
    »Wir sind ehrliche Handwerker«, rief einer der Männer zurück. »Ist es unsere Schuld, daß man euch nach Sibirien schickt? Man bezahlt uns für unsere Arbeit, und der Mensch muß Geld verdienen, um zu leben.«
    Nachdem alle Gefangenen in die Scheune getrieben worden waren, wurden die Tore geschlossen. Oberst Globonow ließ sie von einer Gruppe schwerbewaffneter Soldaten umstellen.
    »Ich habe etwas zu verkünden!« rief Globonow und stellte sich auf den Kutschersitz des ersten Schlittens. »Wir stehen vor dem Ural. Dahinter beginnt Sibirien.«
    »Gehört Geographieunterricht auch zu unserer Strafe?« rief jemand aus dem Hintergrund.
    Oberst Globonow seufzte. Er starrte Trubetzkoi und Murawjeff an, die in der vordersten Reihe standen, und spürte plötzlich einen dicken Kloß in seiner Kehle.
    Mit einer hilflosen Bewegung wandte sich der Oberst um und bedeutete den Schmieden aus Perm, die Decken von den Schlitten zu nehmen. Im schaukelnden Licht der Stallampen glitzerten die neuen Ketten mit den Schließringen.
    Einen Augenblick war es völlig still. Die zusammengedrängten Gefangenen hielten den Atem an, die Soldaten packten ihre Gewehre fester.
    Wann kam der Aufschrei des Entsetzens? Wann kamen die Flüche, die Weigerungen?
    Aber noch immer rührte sich niemand. Stumm starrten sie alle auf den Kettenhaufen. Dann sagte Murawjeff sehr ruhig in die Stille hinein:
    »Ich werde diesen Schmuck nie tragen.«
    Oberst Globonow sah Murawjeff an und klopfte mit der Faust gegen sein Holzbein. »Ich trage auch einen Schmuck zur Ehre Rußlands …«
    »Sie haben Ihr Bein in der Schlacht verloren!«
    »Und Sie haben sich die Ketten bei einer Revolution erworben.«
    »Aber ich bin Offizier, General!« schrie Murawjeff.
    »Sie waren es, Graf. Jetzt sind Sie ein Verbannter.« Globonow war es heiß geworden. Er zwang sich zur Härte. »Einzeln herantreten! Die Hosenbeine hochstreifen! Auf den Schemel setzen.«
    Niemand rührte sich.
    »Leute«, sagte Globonow mit belegter Stimme, »zwingt mich nicht, euch an die Ketten zu peitschen. Es muß sein. Kommt her! Ihr wißt, was Befehle sind. Befehle fragen nicht nach dem Herzen, nicht einmal nach dem Verstand. Befehle müssen ausgeführt werden. Ich bitte euch, ich bitte euch alle …«
    »Er hat recht.« Fürst Trubetzkoi trat als

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