Ninotschka, die Herrin der Taiga
ist es?« stöhnte die Gräfin Podneski. »Sagen Sie es doch schon … wer?«
»Jekaterina Iwanowna Gremina«, antwortete die Trubetzkoi mit gesenktem Kopf.
Alle Kopfe drehten sich zu der Frau um, auf die das Los gefallen war. Die Gremina war ein derber bäuerlicher Typ mit einer fülligen Figur. Ihr Mann war der Abgeordnete Gremin, den nur sein Rang als Oberst der Reserve davor gerettet hatte, wie die anderen Zivilisten unter den Dekabristen aufgehängt zu werden.
»Gott sei mit Ihnen«, sagte die Fürstin Trubetzkoi.
»Ich gehe!« Die Gremina band sich ihr Kopftuch fester. »Aber wer es später meinem Mann verrät, den bringe ich um.«
»Wir schwören, zu schweigen wie das Grab!« beteuerte Ninotschka. Dann traten alle Frauen einzeln auf die Gremina zu, küßten sie auf beide Wangen und segneten sie.
»Sie tun es für unsere Männer, Jekaterina Iwanowna«, sagte die Fürstin Wolkonsky und weinte. »Wenn dieser Satan Gyrewski nicht bezwungen wird, werden sie niemals Tschita erreichen.«
»Ich brauche ein Messer!« Die Gremina schlug den Kragen ihres Pelzmantels hoch. »Ein scharfes Messer. Vielleicht bringe ich Gyrewski um. Ein Toter kommandiert nicht mehr. Schwester, gebt mir ein besonders scharfes Messer …«
Miron Fedorowitsch hatte eines, beiderseitig geschliffen und so scharf, daß man dünnes Papier damit in der Luft zerschneiden konnte. Miron machte es vor. Er warf ein Blatt in die Luft und teilte es mittendurch.
Die Gremina nickte zufrieden. »Das ist das richtige, Miron.« Sie verbarg das Messer unter ihrem Mantel. »Sobald sich eine Gelegenheit bietet, stoße ich es ihm in den Rücken. Gott befohlen, Schwestern!«
Die Frauen brachten sie bis zum Ausgang des Schlittenkreises und starrten ihr nach, wie sie mit weit ausgreifenden Schritten hinüber zum Lager der Verbannten ging. Dort verhandelte sie mit den Kosaken, die sie zuerst zurückhalten wollten, sie aber dann doch passieren ließen.
Nach einer Stunde war die Gremina wieder da, bleich und niedergeschlagen. Da drüben im Lager alles ruhig blieb, lebte Gyrewski also noch.
»Ich war bei ihm im Zelt«, sagte die Gremina tonlos. »Ich habe alles versucht, aber er war betrunken und hat nur gelacht! Auf solche Tricks falle er nicht herein, hat er gesagt, und ich solle mich zum Teufel scheren. Er mache sich nichts aus Frauen.«
Sie wischte sich über die Augen, wandte sich dann ab und ging zu ihrem Schlitten.
Miron, der sein Messer von ihr abholen wollte, kam ziemlich verstört zu Ninotschka zurück. »Irgend etwas wird passieren, Hochwohlgeboren«, sagte er leise. »Jekaterina Iwanowna hat mein Messer im Lager gelassen. Sie hat es einem Mann zugeworfen, der zufällig an ihr vorbeiging, und sie schwört, daß niemand das beobachtet habe. Der Herr im Himmel füge es, daß es der richtige Mann war und daß er weiß, wozu man ein solches Messer gebrauchen kann.«
Zunächst aber geschah nichts.
Man zog noch sieben Tage durch die Einöde, über Waldwege und Steppengebiete. Menschen sah man kaum, nur ein paarmal in der Ferne einen kleinen Trupp Reiter, die aber wie Gespenster davonstoben, wenn die Kosaken heranpreschten. Kleine schlitzäugige Burschen auf fahlgelben, ponygroßen Pferdchen waren es, die so schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.
Am achten Tag rastete die Kolonne im Wald auf einer großen Lichtung, wo der Sturm die riesigen Bäume umgebrochen hatte wie dünne Hölzchen. Und hier geschah es.
Am Morgen lag Hauptmann Gyrewski mit durchschnittener Kehle in seinem Zelt. Es hatte kein Kampf stattgefunden. Gyrewski sah aus, als habe er seinen Tod gar nicht gespürt. Er lag auf dem Rücken und hatte den Mund noch offen, so, wie es seine Art war, wenn er laut schnarchte.
Die Kosaken trieben die Gefangenen zusammen. Ein junger Leutnant hatte das vorläufige Kommando übernommen. Er ließ jeden Deportierten bis auf die Haut durchsuchen und fand allerlei, dessen Besitz verboten war – von Goldrubeln angefangen bis zu heimlich geführten Tagebüchern –, aber kein Messer.
Den Gedanken, daß vielleicht gar kein Deportierter Gyrewskis Mörder war, sondern ein Soldat, schob er sofort wieder beiseite.
Der Leutnant befahl, daß die Sträflinge weiterhin unter freiem Himmel kampieren sollten und jagte drei seiner besten Reiter zurück nach Irkutsk, um dem Gouverneur den unerhörten und rätselhaften Vorfall zu melden.
Gyrewskis Leiche vergrub man im Schnee und fror sie ein.
»Und wenn ihr hier Wurzeln schlagt«, schrie der Leutnant die
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