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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Künstlerhand, breite, gewalzte Straßen und drei Kirchen mit goldenen Altarwänden.
    Eine erstaunliche Stadt am Angara war Irkutsk, ein paar Kilometer vom Baikalsee entfernt und mit ihm durch eine Straße und die Mündung des breitströmenden Flusses verbunden.
    Der Gouverneur war von der Ankunft der Schlittenkolonne informiert worden und erwartete die Damen in seinem Haus.
    Es war kein Zarenpalast, wie man in Petersburg behauptet hatte, aber immerhin der Wohnsitz eines sehr reichen Mannes, mit Teppichen und silberfuchspelzbezogenen Sesseln, Podesten, über die man Nutria- und Otterfelle gelegt hatte, und Betten, in denen man sich mit flauschigen Weißfüchsen und schmeichelnden Nerzen zudeckte.
    Die Dekabristen wurden sofort in die Kaserne gebracht und dort eingeschlossen. Die Frauen erhielten im Haus des Gouverneurs einen ganzen Flügel für sich allein. Zofen und Lakaien standen bereit, sie zu bedienen. Schwitzbäder waren vorbereitet worden und strömten einen starken Geruch nach Birkenöl und Kiefernnadeln aus, und im Speisesaal war die Tafel gedeckt mit Silbergeschirr und goldenen Leuchtern.
    »Und da sagt man immer, hinter dem Ural höre die Welt auf!« rief die Fürstin Trubetzkoi. Sie kam gerade aus dem Bad und wurde abgetrocknet. »Ich wette, meine Lieben, der Gouverneur würde es als eine Degradierung betrachten, wenn der Zar ihn nach Petersburg zurückriefe. Hier kann man leben! Wer das bestreitet, ist ein Lügner!«
    Der Gouverneur Semjon Iljajewitsch Abduschej war ein Mann von merkwürdigem Aussehen. Groß, überschlank, fast dürr, mit einem Hängebart über den schmalen Lippen und gelblicher Haut. Er stammte aus einer Provinz im Süden, wo sich Russen und Kirgisen vermischt und auch einen Schuß mongolischen Blutes mitbekommen hatten.
    Daß er überhaupt General und Gouverneur geworden war, erschien erstaunlich. Denn es war eine bekannte Tatsache, daß das russische Offizierscorps fast ebenso exklusiv war wie das preußische. Hier duldete man keine Außenseiter, vor allem niemanden von einer etwas unklaren Herkunft. Abduschej bildete da eine wohl einmalige Ausnahme. Allerdings diente er nur in entfernten Provinzen. Er hatte Petersburg dreimal gesehen, und erhielt seine Beförderungen durch einen Kurier mitgeteilt. Aber inzwischen war er zum ungekrönten Herrscher Sibiriens geworden.
    In den höfischen Sitten kannte er sich nicht aus, aber er konnte über die Schulter schießen, indem er das Ziel mit Hilfe eines Spiegels anvisierte. Er konnte keine Quadrille tanzen, aber er hob in rasendem Galopp ein Taschentuch vom Boden auf – Kosakenspiele, in denen er Meister war. Außerdem hatte er unzählige Rebellen kurzerhand aufknüpfen lassen – etwas, das sehr zum Frieden in Sibirien beigetragen hatte.
    Heute jedoch zeigte Semjon Iljajewitsch, daß er auch ein galanter Mann sein konnte. Er begrüßte die Damen wie ein Franzose mit Handkuß, machte jeder ein Kompliment über ihr Kleid oder ihr Parfüm, und dann sagte er:
    »Sie sind ja hierher geflogen, meine Damen! Normale Sträflingstransporte brauchen von Petersburg bis Irkutsk vier oder fünf Monate, je nachdem, wie der Winter ist. Und in diesem Jahr haben wir einen besonders harten Winter.«
    »Wir wollten die Reise schnell hinter uns bringen, Exzellenz«, antwortete Ninotschka. »Um so mehr Zeit haben wir, uns am Ziel einzurichten.«
    »Kennen Sie Ihr Ziel denn?«
    »Nein. Sie, Exzellenz?«
    »Sehr genau.« Abduschej wartete, bis alle Damen saßen, nahm dann auch Platz und gab dem Leiblakai einen Wink. Die Türen sprangen auf, das Essen wurde auf großen Silberplatten serviert: Suppe aus sibirischen Nachtigallen, gespickte Rentierkeule mit gesäuertem Blumenkohl, dazu kandierte Früchte und mit zartem Kalbfleisch gefüllte Piroggen.
    Die Frauen sahen sich um, dann legte die Trubetzkoi ihre Serviette auf den Teller zurück. Alle Frauen machten es ihr nach, und die Lakaien starrten irritiert den Gouverneur an.
    »Sie mögen keine Nachtigallen?« fragte Abduschej genüßlich. »Meine Damen, Sie kennen diese Köstlichkeit nur noch nicht. Es ist wie Gesang auf der Zunge. Probieren Sie es, bitte …«
    »Erlauben Sie eine Frage, Exzellenz?« unterbrach ihn die Trubetzkoi. »Was essen unsere Männer?«
    Abduschej hob die Schultern in dem goldbestickten Uniformrock. »Ich weiß es nicht. Man könnte nachfragen lassen. Sokol, du Hundesohn, was ißt man in der Kaserne?«
    Der Leiblakai verbeugte sich tief. »Meistens Kohlsuppe, Exzellenz, vor allem im Winter.

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