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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zeitungen, was dann wieder einen beinahe unerschöpflichen Gesprächsstoff ergab.
    General Schejin, der Jenjuka zweimal besuchte, war völlig fassungslos, nachdem er eine Aufführung von Schillers Jungfrau von Orleans gesehen hatte, in der Ninotschka die Heilige Johanna spielte.
    »Wenn ich das nach Petersburg melde, verlegt der Zar seinen Hof nach Jenjuka«, meinte Schejin.
    Globonow nickte und lachte. »Das ist gut möglich. Wie läuft übrigens die Angelegenheit wegen des Begnadigungsgesuches?«
    Schejin wiegte den Kopf hin und her. »Wenn ich mich hier so umsehe, glaube ich gar nicht, daß die Deportierten und ihre Frauen begnadigt werden wollen.«
    »Sie haben das Gesuch aber doch weitergegeben?«
    »Natürlich. Es liegt bei General Abduschej.«
    »Aber der sollte es doch sofort mit einem Kurier zum Zaren schicken!«
    »Das wird er auch getan haben. Außerdem ist in Petersburg, seit die Frauen weg sind, die Stimmung gewaltig umgeschlagen. Man hat Mitleid mit ihnen. Es ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was der Zar erhofft hat: Man hat die Dekabristen nicht vergessen, sondern das Schicksal ihrer Frauen belastet die Gewissen der Zurückgebliebenen. Also wird der Zar sie nicht vergessen.«
    Davon allerdings merkte man in Jenjuka nichts. Die Sträflinge arbeiteten in den Wäldern, fällten Bäume, sägten die Stämme in handliche Stücke und verluden sie auf breite Wagen. Im zweiten Jahr tauchte das Gerücht auf, man wolle ein Dampfsägewerk installieren, eine ganz moderne Angelegenheit, erfunden von dem Engländer James Watt, der Dampf in einem Kessel zusammengepreßt und damit eine ungeheure Antriebskraft freibekommen hatte. Zwar explodierte so ein Dampfkessel leicht, aber gerade weil seine Handhabung so gefährlich war, sollte er in Sibirien ausprobiert werden. Wenn hier jemand in die Luft flog, war es nicht weiter tragisch. Vier Kolonnen sollten mit den Maschinenteilen dieses Dampfsägewerks unterwegs sein.
    Aber die Kolonnen kamen nie an, und die Leute von Jenjuka gelangten zu der Überzeugung, daß die ganze Geschichte nur ein Gerücht gewesen sei.
    Von Monat zu Monat hoffte Ninotschka in dieser Zeit, daß sie schwanger werden würde, aber ihr Wunsch erfüllte sich nicht.
    »Seien Sie doch froh darüber, mein Kind!« meinte die Fürstin Trubetzkoi bei einem ihrer abendlichen Empfänge. Der Salon ihres Hauses sah inzwischen fast genauso aus wie der in Petersburg, mit seidenen Portieren, Gobelinsesseln, Spitzendecken, dicken Perserteppichen und geschnitzten Schränken. Honiggebäck wurde gereicht und Tee in chinesischen Porzellantassen, und der Diener Gawril trug eine goldbetreßte Livree.
    Die rohen Holzwände des Hauses waren mit Stoff verhängt – ein Hauch Petersburg in der Taiga, diesem einsamsten Fleck der Erde.
    Nicht viel anders, höchstens ein bißchen weniger wertvoll eingerichtet, waren die Häuser der anderen Frauen. Es war wie eine Demonstration gegen den Zaren: Sibirien kriegt uns nicht unter!
    Auch Ninotschkas Hütte hatte jenen Hauch von Luxus, der General Schejin sprachlos machte. Mit den Rubeln ihres Vaters hatte sie von den burjätischen Händlern, die wiederum mit den chinesischen Kaufleuten in Geschäftsverbindung standen, Wandbehänge und Teppiche gekauft, kleine, zierliche Möbel aus Rosenholz und entzückende Bilder in Lackmalerei.
    Als Borja diese Pracht zum erstenmal sah, wurde er ganz still und setzte sich vorsichtig auf eine Ecke des chinesischen Sesselchens, als habe er Angst, das Möbelstück könnte unter ihm zusammenbrechen.
    »Gefällt es dir nicht, Borjuschka?« fragte Ninotschka.
    »Wir sind in Sibirien, Liebling …«
    »Das hier ist Sibirien!«
    »Nein, das ist der krampfhafte Versuch, Petersburg hierher zu importieren.«
    »Irrtum! Es ist nur unser Wille, uns nicht unterkriegen zu lassen.«
    »Mit seidenen Portieren und durchsichtigem Porzellan?«
    »Genau damit! Man erwartet, daß wir wie die Tiere im Sumpf leben. Das wäre ein Triumph des Zaren und seiner Höflinge! Aber auch in Sibirien verlieren wir nicht unsere Lebensart und unsere Kultur. In der nächsten Woche lesen wir Voltaire, und die Gräfin Plonsky wird einen Vortrag über Rousseau halten.«
    »Und wann spielt ihr den Sturm auf die Bastille?« fragte Borja spöttisch.
    Ninotschka wurde zornig, ihre Wangen glühten. »Was hast du gegen unsere Pläne?« rief sie. »Willst du denn wie ein Bär in einer Höhle leben?«
    Er stand auf und stellte sich vor sie hin. »Sieh mich an, Ninotschka. Diese

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