Ninotschka, die Herrin der Taiga
Gläser Wodka zusammen, fanden sich gegenseitig äußerst unsympathisch, waren aber bereit, miteinander auszukommen.
Die Frauen wurden zunächst auf die vorhandenen Holzhäuser verteilt. Dort wohnten die Freigelassenen, und das war ein Problem für sich. Diese Begnadigten, die Sibirien nie mehr verlassen durften, waren größtenteils Kriminelle, Straßenräuber, Diebe und Mörder. Jetzt mußte man unter einem Dach mit ihnen leben, bis die eigenen Häuser fertig waren, und das brachte Schwierigkeiten.
Globonow regelte das auf seine Art. Er ließ alle Einwohner von Jenjuka auf dem Platz vor der Faktorei zusammenrufen. Neben der großen Magazinhütte Birjukows hatte er einen dicken Pfahl in die Erde rammen lassen und zeigte mit einer kurzen Peitsche darauf.
»Wer eine der Frauen anrührt, wer irgend etwas stiehlt, wer sich nicht so benimmt wie ein anständiger Christenmensch, den binde ich an diesen Pfahl und peitsche ihn zu Tode. Ist das klar?«
Über achtzig verschlagene Augen musterten Globonow. Er meint es ernst, lag in den Blicken. Er ist genau der Mann, der nicht lange redet, sondern handelt. Freunde, wir werden ihn über kurz oder lang töten müssen, um unsere Ruhe zu haben. Laßt ihn jetzt reden …
Nach sieben Wochen standen die ersten beiden Häuser. Es waren die der Trubetzkoi und der Wolkonsky. Aber dann wuchsen immer mehr Hütten aus dem Boden, und weitere Frauen, unter ihnen Ninotschka, konnten in ihr neues Zuhause einziehen. Vorher aber gab es noch einen kleinen Zwischenfall. Beim Umzug stellte Miron fest, daß aus Ninotschkas Gepäck zwei kupferne Kessel fehlten.
»Aber Freunde«, sagte Miron zu den Männern, bei denen sie bisher gewohnt hatten. Es waren zwei, die einmal zahllose Postkutschen überfallen und inzwischen Burjätenfrauen geheiratet hatten. »Wollt ihr wegen der Kesselchen eure Ohren verlieren? Ich schneide sie euch nämlich ab, wenn die Kessel nicht in einer Stunde zur Stelle sind.«
Sie waren es nicht, und die Männer hatten sich im Wald versteckt.
Bei Gott, sie kannten Miron Fedorowitsch nicht! Der Riese suchte sie mit dem Spürsinn eines Jagdhundes, fand sie in einer Schlucht, und als sie auf ihn schossen, ließ er sich fallen und holte die unter seinem Mantel versteckten Reiterpistolen hervor. Damit hatten die Diebe nicht gerechnet, und so kam es, daß Jenjuka zwei Tote hatte.
Das sprach sich natürlich herum. Die Blatjenny, wie die Freigelassenen sich nannten, kamen heimlich zusammen, beschlossen, mit den Neuen Frieden zu halten, und halfen beim Bau der nächsten vier Häuser sogar mit.
Am 19. Februar 1828 war Ninotschkas Hütte fertig. Borja selbst nagelte das letzte Dachbrett fest, und rutschte dann über das vereiste Holz hinunter in die ausgebreiteten Arme seiner Frau.
»Unser Haus«, sagte er mit schwankender Stimme. Sie umarmten sich und drückten die Gesichter aneinander.
»Laß uns hineingehen, Borja«, sagte Ninotschka, »und Feuer machen. Unser erstes Feuer in unserem Haus. Ich bin so glücklich, Borjuschka!«
Er nickte, nahm sie auf seine Arme und trug sie hinein in die noch leere, kalte, nach frischem Holz duftende Hütte.
XII
Zwei Jahre zogen vorbei.
Es waren zwei harte, aber gleichzeitig schöne Jahre. Aus der kleinen Faktorei Jenjuka mit ihren armseligen Holzhütten und dem Lagerhaus des fetten Birjukow wuchs eine kleine, saubere Stadt mit schmucken Blockhäusern, einer Straße aus Knüppelholz, einer kleinen Kapelle und einem Gemeindehaus heran. In letzterem gab es sogar einen Saal, in dem den Mitgliedern des neu gegründeten Theatervereins die Möglichkeit verschafft worden war, sich als Schauspieler zu produzieren.
Das war etwas, was man in Sibirien noch nicht erlebt hatte: Die Verbannten und ihre Frauen spielten Schiller und Shakespeare. Die Fürstin Wolkonsky hatte die Regie übernommen, Ninotschka – wie konnte es anders sein – spielte die jugendliche Liebhaberin, und Oberst Globonow schien wie dazu geschaffen, die großen Intriganten darzustellen. Er spielte den Franz Moor und Richard III., den Mephisto und den Shylock, und wenn er mit seinem Holzbein über die Bühne stampfte und schrie: »Mich lechzt es nach Blut!« – dann glaubte ihm das jeder.
Auch ein gesellschaftliches Leben gab es in Jenjuka. Die Damen luden sich abwechselnd zum Tee oder zu einem Kartenabend ein, hielten literarische Lesungen und Diskussionen ab und hatten ständig Kuriere unterwegs, die in Tschita oder sogar in Irkutsk neue Bücher kauften und einen Packen
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