Ninotschka, die Herrin der Taiga
langer, dürrer Mensch, der schwindsüchtig wirkte und randvoll angefüllt war mit Angst vor diesem wilden Sibirien und seinem schweren Amt, unter Verbrechern leben zu müssen.
Aber als er die Häuser sah, die elegante Einrichtung darin, die hübsche kleine Kirche, die ein Kleinod an handwerklicher und künstlerischer Phantasie und Geschicklichkeit war, fiel er auf die Knie und dankte Gott.
»Nun sind wir komplett«, meinte Globonow grinsend. »Wir haben einen Popen. Die Damen können endlich beichten, und ich habe jemanden, mit dem ich mich streiten kann, wann immer ich Lust habe. Leute, es läßt sich leben in Jenjuka!«
Ninotschka gehörte in diesem Jahr zu der Gruppe der Frauen, die neben den Männern draußen im Wald arbeiteten. Sie teilten das Essen aus, brachten Werkzeuge, schleppten leichte Baumstämme zum Verladen, schlugen die Rinde von den Stämmen, hackten aus den dicken Ästen Brennholz und sammelten Birkenreiser für die Backöfen.
Was schmeckte köstlicher als ein gutgesäuertes Brot, gebacken in einem Steinofen, der vorher mit Birkenholz geheizt worden war! Wenn das Brot dann aus dem Ofen kam, die Laibe dampften und der Geruch durch das ganze Dorf zog, hob der Pope – er hieß übrigens Klimenti Safonowitsch Swinzow – beide Arme gen Himmel und rief: »Gott dort droben, dein Segen ist reichlich!«
Auch im dritten Jahr erwartete Ninotschka noch kein Kind. »Vielleicht soll es so sein«, sagte die Fürstin Trubetzkoi tröstend. »Stellen Sie sich vor, Borja würde begnadigt! Dann müßten Sie den höllischen Weg nach Petersburg mit einem Säugling zurücklegen. Das wäre Kindermord.«
»Der Zar wird Borja nie begnadigen! Aber ich weiß, worauf Sie hoffen, Fürstin: auf einen neuen Zaren. Aber auch der würde nichts tun. In Sibirien ist man vergessen.«
In diesen Monaten zeigte es sich immer mehr, daß Ninotschka aus dem Kreis der anderen Frauen herauswuchs. Während jene in Zirkeln zusammenkamen und über französische Philosophen diskutierten, ritt Ninotschka – Miron wie einen Schatten immer hinter sich – durch die Taiga und jagte wie ein Burjäte. Sie fischte Lachse im reißenden Fluß, räucherte sie für den Winter und fing in selbstkonstruierten Fallen Prachtexemplare von Füchsen und Nerzen, die der Magazinverwalter Birjukow mit guten Goldrubeln bezahlte.
»Sie wird mein bester Lieferant«, sagte er zu Globonow. »Schon jetzt hat sie Aljoscha Schimkin überboten, und der galt bisher als der erfolgreichste Jäger weit und breit. Diese Frau ist ein Naturereignis.«
»Wehe, wenn Sie sie mit dem Preis betrügen, Porfiri Jewdokimowitsch!« drohte Globonow. »Dann prügle ich Ihnen das Fett aus der Haut.«
Bald war es für alle ein gewohnter Anblick, Ninotschka nach Männerart im Sattel zu sehen, mit hohen Stiefeln, einer Felljacke und im Nacken zusammengebundenen Haaren. In einem Sattelhalfter steckte ein Gewehr, im Gürtel trug sie Pistolen und zwei scharfe Messer. Auch das sprach sich herum, vor allem bei den Burjäten, die sonst vielleicht auf den Gedanken gekommen wären, Ninotschka zu überfallen. Außerdem war ja noch Miron da, dieser schweigsame Riese, von dem man sagte, er könne mit einem einzigen Faustschlag einen Menschen einen Meter tief in die Erde dreschen. Seine Fäuste sahen danach aus.
Nach einem Jahr kannte Ninotschka die Gegend um Jenjuka im Umkreis von hundert Werst – doch über Ninotschka sprach man in ganz Sibirien. Burjäten und Ewenken, Kosaken und durchreisende Beamte trugen die Erzählungen von ihrem Leben bis in die fernsten Winkel des Landes. Ninotschka wurde an der chinesischen Grenze ebenso bekannt wie der Baikalsee. Die Fischer am Amur sprachen über sie wie die Schiffer auf dem Ob. Und wie es so kommt – mit jeder Eizählung dichtete man Ninotschka noch mehr Abenteuer an. Abenteuer, die der größte Sagenheld nicht bestanden hätte.
»Die Herrin der Taiga«, sagte Abduschej in Irkutsk, als wieder einmal ein Durchreisender Neuigkeiten aus Jenjuka mitbrachte. »Ninotschka Pawlowna wird allmählich zu einer sibirischen Legende.«
So kam der vierte Winter in der Taiga – wie immer mit einem Meer von Schnee, das alles unter sich begrub. Aber es schreckte einen nicht mehr. Man hatte feste Häuser, gute Öfen, genug Vorräte.
Doch in diesem Winter starben vier Deportierte an Lungenentzündung, und im Laufe der Zeit würden es noch mehr Tote werden. Viele der Verbannten waren so alt, daß selbst eine Begnadigung sinnlos gewesen wäre – sie hätten die
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