Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zerrissenen Wattehosen, die Steppjacke, überall durchgewetzt, die mit Lappen umwickelten Stiefel, die schwieligen Hände!«
    »Alles, alles liebe ich an dir, Borjuschka!«
    Er überhörte ihren Einwand. »Und dann diese Eleganz hier im Haus. Der Duft französischen Parfüms. Am Abend Konversation auf Französisch. Der Leiblakai Gawril reicht Tee und Gebäck. Nach der Premiere der Jungfrau von Orleans gab es sogar französischen Champagner … Das ist doch Wahnsinn, Ninotschka!«
    »Das ist unser Widerstand! Unsere Waffen gegen Sibirien. Und was tut ihr? Ihr gehorcht! Ihr schuftet euch zu Tode! Euer männlicher Stolz heißt: Pflichterfüllung bis zum Umfallen. Kopf hoch, auch wenn unten die Beine wegknicken! Ein russischer Offizier stirbt aufrecht.«
    »Genau das stimmt!« entgegnete Borja Tugai dumpf.
    »Aber nicht für uns! Wir breiten Teppiche über den Schlamm.«
    »Der Schlamm wird trotzdem durchdringen.«
    »Warten wir es ab! Vielleicht setzt Jenjuka neue Maßstäbe.«
    Borja schüttelte den Kopf. »Sibirien wird immer das Land der Vergessenen bleiben. Was ihr macht, Ninotschka, ist Selbstbetäubung, weiter nichts.«
    »Aber sie hilft. Borjuschka, hast du dich denn schon aufgegeben?«
    »Nie! Ich werde mich nie aufgeben. Auch in Lumpen bleibe ich Offizier!«
    Nach solchen Streitgesprächen war die Versöhnung immer besonders liebevoll. Und der Kommandant des Sträflingslagers, ein Hauptmann Dytschkin, war in solchen Fällen auf beiden Augen blind. Er verhängte keine Strafen, wenn seine Gefangenen über Nacht bei ihren Frauen blieben, sofern sie nur am nächsten Morgen pünktlich in der Kolonne standen und zur Arbeit ausrückten. Für Dytschkin waren diese Dekabristen keine Verbrecher wie die Mörder und Gauner, die sonst in sibirischen Lagern lebten.
    Obwohl es sonst die politischen Gefangenen immer schlechter hatten als die kriminellen – aus der einfachen Überlegung heraus, daß Intelligenz gefährlicher ist als ein primitives Hirn, das nur an Raub oder Totschlag gedacht hatte –, war in Jenjuka dieser Brauch abgeschafft worden.
    Dafür hatten auch außerhalb der Lagerpalisaden schon die Kutscher der Damen gesorgt, an ihrer Spitze der riesige Miron Fedorowitsch. Sie waren schon an einem der ersten Tage im Wald aufgetaucht, wo die Strafgefangenen gefällte Bäume entlaubten, hatten sich ein paar ganz üble Burschen herausgegriffen und sie tiefer in den Wald hineingeführt. Als man die Männer zurückbrachte, hätten ihre eigenen Mütter sie nicht mehr erkannt, so hatten die Kutscher sie zugerichtet.
    »Und das kann euch und den anderen immer von neuem passieren«, sagte Miron. »Wenn unseren Hochwohlgeborenen etwas geschieht, drehen wir euch die Köpfe um!«
    Da in Rußland Gewalt meistens überzeugt, wußten nun die kriminellen Gefangenen, daß in Jenjuka ein anderer Wind zu wehen begann. Alle Posten innerhalb des Lagers, die einträglich oder wichtig waren, wurden ausgewechselt, und die Dekabristen übernahmen die Tätigkeit als Magazinverwalter, Schreibstubenleiter oder Materialausgeber. Die Dekabristen bauten eine vollkommen neue Lagerverwaltung auf, und Hauptmann Dytschkin brauchte sich eigentlich um nichts mehr zu kümmern, ja, er bedankte sich sogar bei General Murawjeff für diese Hilfe.
    Der wahre Herr von Jenjuka aber war Oberst Globonow. Nachdem der Pope, der den Transport nach Jenjuka begleitet hatte, wieder nach Tschita zurückgekehrt war, versuchte der Oberst sogar, ihn schlecht und recht zu ersetzen. Er weihte die kleine Holzkapelle ein, obwohl er kein Kirchenlied kannte, keine Liturgie und am Ende der Feier nur sagte: »Gott im Himmel, wir alle sind Gauner, darum schütze uns!«
    Als General Schejin davon erfuhr, forderte er entsetzt einen Popen aus Irkutsk an.
    Und so kamen Sommer und Winter, brütende Hitze und Kälte, die bis ins Mark drang. Es heulten Stürme um die Hütten, und der Himmel schüttete Wassermassen über das Land. Die Olekma trat ein paarmal über die Ufer und überschwemmte Jenjuka, und die Frauen saßen auf den Dächern, weil die Flut zu schnell gekommen war und sie im Schlaf überrascht hatte. Boote gab es damals noch wenige, und darum baute man Flöße, um die Frauen von den Dächern zu holen.
    Im dritten Jahr wurden in Jenjuka neunzehn Kinder geboren, und Globonow schickte einen Boten zu Schejin mit der Frage: »Wo bleibt der versprochene Pope? Ich kann die Kinderchen doch nicht auch noch taufen!«
    Vier Wochen später erschien tatsächlich ein junger Priester, ein

Weitere Kostenlose Bücher