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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Das Gras verdorrte, irgendwo schienen große Teile der Taiga zu brennen, denn ein brandiger Geruch lag über dem Land.
    General Schejin hatte nun alle Unterschriften der Frauen zusammen und sie schon mit einem Kurier nach Irkutsk geschickt. Von dort sollten sie von anderen Kurieren nach St. Petersburg gebracht werden. Der General hatte auch bestimmt, daß die Frauen in hochrädrigen Karren den Zug der Männer begleiten dürften. Denn – so sagte er – sie seien ja nun auch Ehrlose und Sträflinge. Oberst Globonow hängte seine Uniform an einen Haken, salutierte vor ihr, kleidete sich dann in einen Zivilanzug und zog einen hohen Juchtenstiefel an, den er von einem Burjäten gekauft hatte. So verabschiedete er sich von General Schejin.
    »Haben Sie schon einmal einen Stiefel gekauft?« fragte Globonow. »Nicht ein Paar, nein, nur einen. Denn was soll mein Holzbein in einem Stiefel? Aber dieses Lamento! ›Hochwohlgeboren, wer kauft mir einen übriggebliebenen Stiefel ab?‹ Ich sagte: ›Such dir einen, dem ein Bein fehlt!‹ Und der Schuster schreit: ›Aber ob ihm gerade das linke fehlt? Ich bin ruiniert! Sie müssen beide Stiefel bezahlen, auch wenn Sie nur einen nehmen!‹ Was blieb mir anderes übrig, als dem Kerl einen Stiefel um die Ohren zu schlagen, zwei Rubel hinzulegen und zu gehen!«
    »Dann hat man Sie betrogen«, sagte Schejin gemütlich. »Stiefel kosten nur einen Rubel. Der Schuster wird Sie für einen Idioten halten. Und das sind Sie auch! Sie wollen also mit nach Jenjuka?«
    »Ja. Die paar Jahre, die ich noch zu leben habe, kann ich auch im Wald verbringen. Was habe ich für Ansprüche? Keine! Ich habe dem Dienst am Zaren die Mehrzahl meiner Jahre geopfert … und mein Bein. Jetzt will ich Ruhe. Ich werde in der Sonne sitzen oder im Winter auf dem Ofen, meine Pfeife rauchen und auf den Tod warten. Sagen Sie ehrlich, Schejin, ist das nicht ein schöner Ausklang?«
    »Ein wenig trostlos, Nikolai Borisowitsch.«
    »Aber ruhig.« Globonow lachte. »Es gibt ja so wenige Orte in Rußland, wo man in Ruhe leben kann.«
    Der Transport nach Jenjuka stand unter dem Kommando des jungen Leutnants Polkajew. Schejin hatte extra ihn ausgewählt, weil er wußte, daß der Junge dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Und Globonow wußte das auch.
    »Polkajew, Sie grüner Junge«, sagte der alte Oberst zu ihm, und der Leutnant war weit davon entfernt, sich in seiner Offiziersehre beleidigt zu fühlen. Für ihn war Oberst Globonow ein Kriegsheld, und Helden dürfen so reden. »Sie haben das Kommando«, fuhr der Oberst fort, »aber bestimmen tue ich. Verstehen wir uns?«
    »Sehr gut, Nikolai Borisowitsch.« Polkajew stand sogar stramm. »So war es ja auch gemeint.«
    »Sie sind ein kluger Kopf! Sie werden Karriere machen.« Globonow ließ sich in den Sattel helfen; die Karren und Tarantas der Frauen, hoch beladen mit dem neugekauften Hausrat, standen bereit. Aus dem Lager der Sträflinge ratterten die breiten Karren der Deportierten. Noch waren sie nur beladen mit Material und Werkzeugen, Verpflegung und Ausrüstungen, und die Sträflinge marschierten in geschlossener Kolonne hinterher. Aber das würde sich bald ändern. Die Wege nach Norden waren miserabel. Später würden es nur noch Pfade sein, und schließlich würde es quer durch das Land gehen, und man würde sich Meter um Meter weiter quälen müssen. Die Wagen würden über steinige Pfade gedrückt werden müssen, durch Schluchten und Berghänge. Sibirien würde sich so zeigen, wie es wirklich war: schön aber feindlich.
    »Kolonne marsch!« schrie Globonow und hob die Hand. Die kleinen, gelben, struppigen Pferdchen legten sich ins Geschirr. Die Kutscher brüllten, ließen die Peitschen knallen und sangen anfeuernde Lieder. Die Frauen in den Wagen blickten zurück nach Tschita, das hinter einer hohen Staubwolke verschwand. General Schejin stand allein zu Pferde am Ausgang der Straße. Er legte grüßend die Hand an die Mütze und wirkte wie ein Denkmal – die letzte Bastion der Zivilisation.
    Ninotschka, die nicht in ihrem Wagen saß – den der treue Miron lenkte –, sondern die wie ein Mann in Hosen und Stiefeln auf einem Pferd ritt, galoppierte zur Spitze neben Globonow.
    »Na, Bürschchen«, sagte der Oberst fröhlich zu Ninotschka, und sie sah in ihren Kleidern wirklich wie ein Junge aus. »Wann ist es denn soweit? Wann kommen wir nieder?«
    »Wenn Gott will, in neun Monaten, Väterchen«, antwortete Ninotschka. »Ich bete darum. Ein Kind wird Borja doppelte

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