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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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antwortete ein junger Leutnant.
    Schejin nickte. Er hatte es gewußt. In wenigen Minuten, wenn sie ihre Beute vertilgt hatten, würden die Wölfe wiederkommen. Man würde wieder einige erschießen, die von den anderen gefressen würden, und dann ging der Kampf weiter, immer weiter: Angriff, zerreißen, fressen, Angriff – bis der letzte Schuß verfeuert war und niemand mehr die Woge aus Hunger und Blutgier aufhielt.
    General Schejin sah hinüber zu den Pferden. Nein, auch das hat keinen Sinn, dachte er. Selbst die Pferde reichten nicht aus, um den Hunger der Wölfe zu stillen. Und was ist ein Mensch in der winterlichen Taiga ohne Pferd?
    »Ich brauche einen Freiwilligen«, sagte Schejin mit belegter Stimme. »Er könnte in drei Stunden Jenjuka erreichen, um Hilfe zu holen. Vielleicht halten wir bis dahin durch. Wenn er losreitet, hat er unser aller Leben in seiner Hand.« Er atmete tief auf. »Wer will es versuchen?«
    Die zehn Soldaten starrten vor sich in den Schnee und schwiegen. Schejin nahm es ihnen nicht übel. Wer ist schon so tollkühn, mitten durch ein Wolfsheer zu reiten? Und doch war dies die letzte Chance, um zu überleben: Hilfe holen aus Jenjuka.
    »Brüder!« sagte Schejin laut. »Ich brauche einen von euch. Sonst reite ich selbst. Leutnant, mein Pferd! Los, Kerl, bring es mir!«
    »Bleiben Sie, Exzellenz.« Ein junger Soldat stand auf. Er war erst einen Winter in Sibirien und mit einem Trupp aus der Ukraine gekommen. Auch dort gab es Wölfe, aber sie waren kleiner als diese hier und tauchten nur in kleinen Rudeln auf. Aber er hatte schon als Junge Jagd auf sie gemacht und wußte, wie man sie mit einem Pferd abhängen konnte. »Ich versuche es.«
    »Wie heißt du?« fragte Schejin.
    »Alexander Prikorowitsch Fetkin, Euer Exzellenz.«
    »Fetkin, ich ernenne dich zum Leutnant und schenke dir das Gut Domskoje, das zu meinen Besitzungen gehört, wenn du Hilfe bringst.«
    »Ich werde es schaffen, Exzellenz!« Der junge Soldat salutierte, band sein Pferd los und schwang sich in den Sattel.
    »Wenn er losreitet, schießen wir!« brüllte Schejin. »Die neuen Kadaver werden die Wölfe ablenken. Gott mit dir, Alexander Prikorowitsch!«
    Fetkin gab seinem Gaul die Sporen und galoppierte an. Gleichzeitig schossen seine Kameraden in die heulenden Knäuel der Wölfe und sorgten dafür, daß sich die vor Hunger wie rasenden Tiere sofort wieder auf die getöteten stürzten.
    Aber es waren nicht alle. Abseits am Waldrand warteten noch einige Rudel. Sie streunten hin und her und äugten zu den Menschen hinüber, unschlüssig, ob sie nicht einen eigenen Angriff auf die Pferde wagen sollten. Der Geruch des Blutes machte sie fast wahnsinnig.
    An diesen Rudeln mußte Fetkin vorbei. Er lag flach über dem Hals seines Pferdes, schoß um sich und galoppierte auf den Wald zu. Er sah, wie sich neben ihm die grauen Leiber in Bewegung setzten, wie sie ihm wie Schatten folgten und plötzlich hochschnellten und ihn ansprangen.
    Schejin sah das nicht. Der aufgewirbelte Schnee verhinderte eine klare Sicht, er hörte nur die Schüsse und sah weder Reiter noch Pferd.
    »Fetkin kommt durch!« schrie der General. »Er hat den Ring durchbrochen!«
    Dabei war schon zweihundert Meter hinter der Lichtung die grausame Jagd der Wölfe auf den jungen Soldaten zu Ende. Fünf auf einmal hingen an seinem Pferd und bissen sich fest. Der sechste Wolf sprang Fetkin in den Rücken und grub seine spitzen Zähne in dessen Schultern. Noch einmal schrie Fetkin auf – ein Laut, der im triumphierenden Geheul der Wölfe unterging. Dann stürzte das Pferd, aus vielen Wunden blutend. Fetkin wurde aus dem Sattel geschleudert, und sofort waren drei Wölfe über ihm.
    Auf der Lichtung krachten wieder die Salven. Der nächste Angriff des Wolfsheeres brandete heran.
    »Noch zusammen siebenundachtzig Schuß, Exzellenz«, meldete danach der junge Leutnant.
    Schejin winkte ab. Er wußte, was diese nüchterne Zahl für sie alle bedeutete. Auch Fetkin konnte das nicht mehr schaffen, wenn er wirklich durchgekommen war. Drei Stunden bis Jenjuka, dann drei Stunden zurück – und siebenundachtzig Schuß Munition.
    »Leutnant«, sagte Schejin ernst, »wir alle sollten gemeinsam beten. Um so leichter ist es dann, zu sterben.«
    Die Soldaten knieten nieder, die Gewehre noch immer schußbereit vor sich. Sie bekreuzigten sich. Nur General Schejin blieb aufrecht stehen und blickte in den grauweißen Schneehimmel.
    »Herr dort oben«, betete er laut und mit fester Stimme,

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