Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Paranoia und schwere Kriegsneurosen. Fast alle Überlebenden, die Auric kannte, litten unter Schlafstörungen, auch jene, die sonst nicht auffällig wurden. Dieser Krieg war in vieler Hinsicht ungewöhnlich gewesen.
Wenn Auric schließlich des Nachts in den Schlaf fiel, fuhr er kurz darauf schon wieder in dem panischem Entsetzen hoch, er würde verbrennen. Lange lag er wach und wälzte sich, während kalter Schweiß ihm über die Glieder lief; er konnte die Gedanken an Flammen und Feuer einfach nicht aus seinem Kopf verbannen. Und wenn es nicht das Feuer war, dann waren es die Gesichter der Toten. Sowohl der Soldaten als auch der Zivilisten.
Ein Mann mit hagerem Gesicht und einer zwischen den Augenbrauen beginnenden und sich zum kahl rasierten Schädel hochziehenden blauen Tätowierung kam, stellte Fragen, nickte, stellte weitere Fragen, wusste aber scheinbar schon alles. Unter Aurics nachbohrenden Gegenfragen schien es ihm Schwierigkeiten zu machen, sich zu entsinnen, was er eigentlich war, Arzt oder Senphora. Schließlich einigte man sich in dieser neugebildeten Klasse von Leuten anscheinend untereinander auf den Begriff Seelenheiler. Sie sickerten in die Lager ein, standen an Krankenbetten und erzählten denen, die darin lagen, eine ganze Menge. Keiler Drei hatte das, was sie sagten, als einen „Riesenhaufen Bullenscheiße, getrocknet und auf Blockmaß geschnitten“ bezeichnet, und damit traf er nicht nur den Tenor der Mehrheitsmeinung, auch fand Auric, dass er dieses eine Mal den Nagel exakt auf den Kopf getroffen hatte.
Ihre Kompanien wurden durch frische abgelöst, und am Ende schickte man die Überlebenden des Kvay-Nan-Feldzuges in einen Genesungsurlaub. Sie hatten ihn sich hart verdient, sie hatten diesen Krieg für Idirium gewonnen, und die Armee konnte keine geschädigten, labilen und dadurch unberechenbar gewordenen Soldaten brauchen. Im Grunde war eine Zeit der ruhigen Kugel nach hartem beendetem heißen Einsatz nicht ungewöhnlich, aber selten hatten ihn sich Soldaten bitterer verdient und selten wurde seine Durchführung von der Heeresleitung mit dieser Konsequenz organisiert.
Die, welche Frauen und Familie hatten, wurden nach Hause zurückgeschickt, in der Hoffnung, dass gewohnte Umgebung und die sozialen Bindungen schon das ihre tun würden, um die Überlebenden auch seelisch wieder genesen zu lassen. Die Seelensenphorenbande blickte ihnen mit wissendem Blick, aber ohne feuchten Dunst, was in ihnen wirklich vorging, hinterher. Der Rest, der innerhalb der Sechzehnten einen für Auric erstaunlich großen Teil ausmachte – also all die, welche keine sozialen Bindungen außerhalb der Armee hatten und nur mit Ort und Gelegenheit häufig wechselnde sexuelle Kontakte, die kein Leben kannten außer der idirischen Armee, dem Zusammensein mit den Kameraden im steten Wechsel zwischen Kampfeinsätzen, ruhigeren Stationierungen und den Reisen zum nächsten Einsatzort –, dieser ganze Haufen wurde nach Ilvenaum verlegt. Die Barbarenbataillone fielen über die ilvenische Küste her.
Ilvenaum war eine Musterprovinz. Dort hatte es nie Aufstände gegeben, Ilvenaum hatte nie eine Front in einem kriegerischen Konflikt gehabt. Die Ilvenier waren Kaufleute, Fischer, Bauern und Handwerker. Das Klima war mild, das Leben leicht. Die Lebensauffassung erschien dem offiziellen Idirium oft verdächtig leichtfertig, aber das Land prosperierte, und die nicht unerheblichen Steuern wurden pünktlich gezahlt.
Auric trug jetzt einen leichteren Verband und nur noch dünne Wundauflagen. Ihre Abteilungen hatten verabredungsgemäß einen leichten Lenz. Von eigentlichem Dienst war kaum die Rede. Kaserniert waren sie nur pro forma; sie sollten sich erst einmal von ihren Traumata erholen.
Auf dem Weg zurück zur Kaserne traf er an diesem Morgen eine noch zerrauft aussehende, noch immer hinkende Czand.
„Hast du dich gestern Abend tatsächlich noch durch den ganzen Krug Trester gearbeitet, Auric?“
„Wenn nicht, hat ihn irgendjemand anders ausgesoffen, während ich schlief. Heute Morgen war er jedenfalls leer.“
„Dafür siehst du gut aus.“
„Du willst nicht meinen Kopf haben.“
„Wer will das schon. – Außer einer Reihe von Spitzohren, die Jhipan-Naraúk überlebt haben. Und, wenn ich genau darüber nachdenke, ein paar Kellnerinnen, die du nach ein paar Nächten sitzengelassen hast.“
Ein am Strand herum streunender Hund hatte sich ihm nach ein paar Tagen auf seinen Morgenspaziergängen entlang des Meeres
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