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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gegen den Zauber. Sie konnte mit dem Bruder nicht mehr in der Sprache der Menschen reden und fürchtete um seinetwillen die Jäger, aber das Reh roch nichts von ihrer Angst und sprang aus dem Schutz des hohen Grases heraus.
    Seitdem wußte Owuor, daß ein zu langes Schweigen für Menschen noch viel bedrohlicher sein konnte als der große Lärm, der Ohren dick wie zu fest gestopfte Säcke machte. Owuor hustete seine Kehle frei, obwohl das Innere seines Halses so glatt war wie der frisch eingeölte Körper eines Diebs.
    In diesem Augenblick merkte er, daß der Bwana seine Stimme doch nicht für alle Zeiten verloren hatte. Es war nur so, daß sich jeder einzelne Laut mühsam den Weg zwischen Zunge und Zähnen suchen mußte.
    »Mein Gott, Jettel, daß ich das noch erlebe. Das kann doch nicht wahr sein. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sag mir, daß ich nicht träume und gleich wieder aufwachen muß. Egal, was du sagst, mach wenigstens den Mund auf.«
    »Meine Eltern haben ihre Hochzeitsreise nach Wiesbaden gemacht«, flüsterte Jettel zurück. »Mutter hat oft vom Schwarzen Bock erzählt, und daß mein Vater so schrecklich besoffen war. Er hat den Wein nicht vertragen, und sie hat sich furchtbar geärgert.«
    »Jettel, reiß dich zusammen. Hast du überhaupt kapiert, was passiert ist? Weißt du, was dieser Brief für uns alle bedeutet?«
    »Nicht so ganz. Wir kennen doch keinen in Wiesbaden.«
    »Begreif doch endlich! Sie wollen uns haben. Wir können zurück. Wir können zurück ohne Sorgen. Es ist aus mit dem Mr. Nebbich.«
    »Walter, ich hab' Angst, so schreckliche Angst.«
    »Aber lies doch, Frau Doktor. Sie haben mich zum Richter gemacht. Mich, den gelöschten Rechtsanwalt und Notar aus Leobschütz. Ich sitze hier und bin das letzte Arschloch von Kenia, und zu Hause machen sie mich zum Richter.«
    »Arschloch«, lachte Owuor, »ich habe das Wort nicht vergessen, Bwana. Du hast es schon in Rongai gesagt.«
    Als der Bwana zu brüllen anfing, ohne daß Zorn in seiner Stimme war, und dabei auch noch stampfte wie ein Tänzer, der vor den anderen seinen Bauch mit Tembo gefüllt hat, lachte Owuor wieder; seine Kehle hatte mehr Stacheln als die Zunge einer wild gewordenen Katze. Aus dem Bwana mit den Augen ohne Spiegel und den zu kleinen Schultern, die sich vor jeder Last duckten, war ein Stier geworden, der zum erstenmal in
    seinem Leben die Kraft seiner Lenden spürt.
    »Jettel, erinnere dich doch. Ein Beamter in Deutschland hat ausgesorgt. Und ein Richter erst recht. Der trägt seinen Kopf hoch. Dem kündigt keiner. Und wenn er krank ist, bleibt er im Bett und bekommt weiter sein Gehalt. Einen Richter grüßt man auf der Straße. Auch wenn man ihn nicht persönlich kennt. Guten Tag, Herr Rat. Auf Wiedersehen, Herr Rat, eine Empfehlung an die Frau Gattin. Das kannst du doch nicht alles vergessen haben. Herr Gott, sag doch was!«
    »Du hast doch nie etwas von einem Richter gesagt. Ich habe immer gedacht, du willst wieder Anwalt werden.«
    »Das kann ich später doch immer noch. Wenn ich erst Richter bin, haben wir einen ganz anderen Start. Deutschland hat immer für seine Beamten gesorgt. Die bekommen vom Staat auch Wohnungen. Das wird uns vieles erleichtern.«
    »Ich dachte, die deutschen Städte sind alle kaputt gebombt. Wo nehmen die dann die Wohnungen für ihre Richter her?«
    Der Satz gefiel Jettel so gut, daß sie ansetzte, ihn zu wiederholen, doch als ihr aufging, daß sie ihren Triumph zu lange herausgezögert hatte, zupfte sie verlegen an einer Haarsträhne. Trotzdem ließ ihre Erregung einen Moment nach, und das belebende Selbstbewußtsein ihrer Jugend erwärmte angenehm ihre Stirn. Wie recht doch ihre Mutter mit den Worten gehabt hatte: »Meine Jettel hat nicht die besten Zeugnisse, aber im praktischen Leben macht ihr keiner was vor.«
    Bei dem Gedanken, daß sie selbst den Tonfall ihrer Mutter noch im Ohr hatte, lächelte Jettel ein wenig. Sie gönnte sich erst die sanfte Wehmut der Erinnerung und dann die Gewißheit, daß sie mit einem einzigen Satz ihrem Mann klargemacht hatte, daß er ein Träumer war, der keinen Blick für die Dinge hatte, die im Leben zählten. Als Jettel Walter jedoch anschaute, sah sie auf seinem Gesicht nichts als eine Entschlossenheit, die sie erst unsicher und dann wütend machte.
    »Wenn wir schon zurück müssen«, hielt sie ihm vor und betonte jedes Wort, »warum denn jetzt?«
    »Weil ich nur was werden kann, wenn ich von Anfang an dabei bin. Chancen hat man nur, wenn ein

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