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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Land untergeht, oder wenn es aus dem Untergang aufersteht.«
    »Wer sagt das? Du redest wie ein Buch.«
    »Das habe ich in >Vom Winde verweht< gelesen. Erinnerst du dich nicht an die Stelle? Wir haben damals darüber gesprochen. Sie hat großen Eindruck auf mich gemacht.«
    »Ach, Walter. Du mit deinen Träumen von zu Hause. Wir waren doch so glücklich hier. Wir haben doch alles, was wir brauchen.«
    »Nur, wenn wir mehr brauchen als das nackte Leben, sind wir auf die Gnade fremder Menschen angewiesen. Ohne die Jüdische Gemeinde hätten wir weder den Arzt noch das Krankenhaus bezahlen können, als Max geboren wurde. Hoffentlich ist Mr. Rubens genauso spendabel, wenn einer von uns mal krank wird.«
    »Hier haben wir wenigstens Leute, die uns helfen. In Frankfurt kennen wir keinen Menschen.«
    »Wen hast du denn gekannt, als wir nach Afrika mußten? Und wann waren wir hier glücklich? Genau zweimal. Mit meinem ersten Geld von der Army. Und als Max geboren wurde. Du wirst dich nie ändern. Meine Jettel hat immer nur nach den Fleischtöpfen Ägyptens verlangt. Aber zum Schluß habe ich immer recht behalten.«
    »Ich kann nicht weg von hier. Ich bin nicht mehr jung genug, neu anzufangen.«
    »Genau das hast du gesagt, als wir auswandern mußten. Da warst du dreißig, und wenn ich damals auf dich gehört hätte, wären wir heute alle tot. Wenn ich dir jetzt nachgebe, bleiben wir immer ungeliebte Habenichtse im fremden Land. Und ewig behält mich King George nicht als Trottel der Kompanie.«
    »Du sagst das alles nur, weil du zurück in dein verfluchtes Deutschland willst. Hast du vergessen, was mit deinem Vater passiert ist? Ich nicht. Ich bin es meiner Mutter schuldig, daß ich den Boden nicht betrete, der mit ihrem Blut getränkt ist.«
    »Laß das, Jettel. Das ist Sünde. Der liebe Gott verzeiht es nicht, wenn wir die Toten mißbrauchen. Du mußt mir vertrauen. Wir werden es schon schaffen. Das versprech ich dir. Hör auf zu weinen. Eines Tages gibst du mir recht, und es wird längst nicht so lange dauern, wie du jetzt denkst.«
    »Wie können wir unter Mördern leben?« schluchzte Jettel. »Alle hier sagen, daß du ein Narr bist und daß man nicht vergessen darf. Glaubst du, eine Frau hört gern, daß ihr Mann ein Verräter ist? Du kannst doch hier eine Stellung finden wie alle anderen auch. Sie helfen den Leuten von der Army. Das sagen alle.«
    »Mir hat man Arbeit angeboten. Auf einer Farm in Dschibuti. Möchtest du dorthin?«
    »Ich weiß doch gar nicht, wo Dschibuti ist.«
    »Siehst du. Ich auch nicht. Jedenfalls nicht in Kenia und auf alle Fälle in Afrika.«
    Das lange nicht mehr empfundene Bedürfnis, seine Frau in die Arme zu nehmen und ihr die Angst zu nehmen wie einem Kind, verwirrte Walter. Noch mehr quälte ihn das Wissen, daß Jettel und ihn die gleichen Wunden schmerzten. Auch er war wehrlos gegen die Vergangenheit. Sie würde allzeit stärker als die Hoffnung auf eine Zukunft sein.
    »Vergessen werden wir nie«, sagte er und blickte zu Boden. »Wenn du es genau wissen willst, Jettel, es ist unser Schicksal geworden, überall ein bißchen unglücklich zu sein. Hitler hat für alle Zeiten dafür gesorgt. Wir, die wir überlebt haben, werden nie mehr normal leben können. Aber ich bin lieber unglücklich, wo man mich achtet. Deutschland war nicht Hitler. Auch du wirst das eines Tages begreifen. Die Anständigen  werden wieder das Sagen haben.«
    Obwohl sie sich sträubte, ließ sich Jettel von Walters leiser Stimme und seiner Hilflosigkeit rühren. Sie sah, wie er seine Hände in den Hosentaschen vergrub, und sie suchte nach Worten, aber sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihn wieder treffen oder dieses eine Mal trösten wollte, und schwieg.
    Eine Zeitlang beobachtete sie Owuor beim Bügeln. Er spuckte aus geblähten Backen auf die Wäsche und ließ mit weit ausholenden Bewegungen das schwere Eisen aus großer Höhe auf zwei ausgebreitete Windeln herunterstürzen.
    »Ich habe so lange hier gelebt«, seufzte Jettel und starrte in die kleinen Wolken vom aufsteigenden Dampf, und sie erschienen ihr Symbol aller Zufriedenheit, die sie je wieder begehren würde. »Wie soll ich mit einem kleinen Kind ohne Personal auskommen? Regina hat in ihrem ganzen Leben keinen Besen in der Hand gehabt.«
    »Gott sei Dank, du bist wieder in Form. Das ist meine Jettel, wie sie leibt und lebt. Wann immer wir uns in unserem Leben entscheiden mußten, hast du Angst gehabt, daß du kein Dienstmädchen findest. Diesmal

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