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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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wirkten wie zwei weiße Riegel vor den Zähnen, und zum erstenmal erlebte Regina, daß auch Oha und Lilly sich stritten - wenn auch sehr viel leiser und nicht so lange wie ihre Eltern.
    »Wir nennen den Kleinen Jago«, schlug Lilly vor.
    »Seit wann«, fragte Oha und zerschnitt seine eigene Stimme mit einem Messer, »gibst du den Bullen ihre Namen? Ich habe mich schon so auf Mozart gefreut. Und das laß ich mir von dir nicht nehmen.«
    Am nächsten Morgen war Oha wieder der dickbäuchige Riese, der weder nach Erregung noch nach der Unruhe plötzlichen
    Unmuts roch, sondern nur nach süßem Tabak und dem milden Duft von verständnisvoller Gelassenheit. Er strengte sich an, seine Augen an Lilly vorbei zu schicken, sah Regina an und sagte: »Ich habe das gestern nicht böse gemeint.« Sorgsam zählte er die schwarzen Körnchen seiner Papaya und fuhr dann fort, als habe er nicht eine sehr lange Zeit gebraucht, um Atem zu holen, »aber weißt du, es wäre komisch, wenn wir hier einen englischen Namen geben würden. Weißt du«, lächelte er, »den kennen wir nicht so genau.«
    »Das macht doch nichts«, lächelte Regina zurück. Ihre rasche Höflichkeit verwirrte sie, und sie glaubte, sie hätte aus Gewohnheit, bei einer Entschuldigung ohne Reue, Englisch gesprochen. »David Copperfield«, erklärte sie befangen und merkte zu spät, daß sie gar nicht den Mund hatte aufmachen wollen, »ist ein alter Freund von mir. Little Nell auch«, fügte sie hinzu.
    Sie überlegte erschrocken, ob sie nun weiterreden und Oha die Geschichte von Little Nell würde erklären müssen, doch sie merkte, daß er mit seinen Gedanken weit weg war. Als er nicht antwortete, verschluckte Regina ihre Erleichterung, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war nicht gut, von Dingen zu sprechen, die das Herz zum Rasen brachten, wenn ihm kein fremder Mund helfen konnte.
    Manjala, der die ganze Zeit neben der Vitrine mit den funkelnden Gläsern, goldumrandeten weißen Schalen und den zierlichen Tänzerinnen aus weißem Porzellan gestanden hatte, brachte Bewegung in seinen Körper und holte seine Hände aus den langen Ärmeln seines weißen Kanzus heraus. Er sammelte erst langsam und dann immer schneller die Teller ein und ließ das Besteck tanzen. Max setzte sich in seinem Wagen auf und begleitete jeden Ton mit einem Klatschen, das Reginas Ohren warm machte.
    Chebeti schob den Pudel von ihren nackten Füßen, stand auf, schaute Manjala aus nur halb geschlossenen Augen an, denn er hatte ihre Ruhe gestohlen, sagte: »Der kleine Askari will trinken«, und ging die Flasche holen. Ihre Schritte ließen den Holzfußboden so leicht beben wie ein plötzlich gefangener Wind zwischen Bäumen.
    Lilly holte den mit winzigen Steinen besetzten goldenen Spiegel aus ihrer Hosentasche, malte die Konturen ihrer Lippen so lange nach, bis sie aussahen, als wären sie aus ihrer roten Bluse herausgeschnitten worden, und hauchte einen Kuß in die Luft. »Ich muß zu Desdemona«, sagte sie.
    »Und zu Mozart«, lachte Regina. Sie lachte noch einmal, als ihr aufging, daß es ihr endlich gelungen war, den Namen ohne englischen Akzent auszusprechen. Sie hauchte, wie sie es Lilly soeben abgeschaut hatte, einen Kuß auf den Kopf ihres Bruders und merkte, wie die Schwere aus ihren Gliedern und die jagenden Gedanken der Nacht aus ihrem Kopf flüchteten.
    Es war ein gutes Gefühl, das satt machte wie abends das Po-scho in den Hütten. Im Wald hörte sie die ersten Trommeln des Tages. Hinter den großen Fenstern färbte die Sonne den Staub bunt. Regina zog ihre Augen so eng zusammen, bis sie Schlitze waren, die Bilder verwandeln konnten. Die Umrisse der Zebras bestanden nur noch aus Streifen. Das Blau des Himmels war ein kleiner Fleck von Farbe, die Dornakazien verloren ihr Grün, und die Zedern wurden schwarz.
    Regina nahm Max aus seinem Wagen, legte seinen Kopf auf ihre Schulter und fütterte seine Ohren. Gespannt wartete sie auf die hellen Töne, die ihr anzeigten, daß ihr Bruder schon klug genug war, Vertrautheit zu genießen. Als Chebeti mit der Flasche hereinkam und dem Kind den Schnuller in den Mund schob, machte Stille den großen Raum klein.
    Die Flasche war fast leer, als Oha mit seinem Kopf Kreise machte und sagte: »Ich beneide dich sehr um deinen David Copperfield.«
    Er hatte bei den beiden letzten Worten zuviel Luft geschluckt, und Regina würgte zu lange an ihrem Kichern, um es rechtzeitig in den Husten zu verwandeln, der sich gehörte. »I'm sorry«, sagte sie.

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